Herrliche Tage waren schon dahin, welche wir im Oberlausitzer Gebirge verleben durften. – Mit meinen beiden Freunden lag ich untätig in Grase einer ehemaligen Schonung und schaute einer Besteigung des Waldtorwächters über die Nordostwand zu.
Unnahbar,
steil und kühn erhebt sich der massige Turm am Wege von Oybin zum Hochwald.
Unsere Blicke haften an dem Risse, welcher die Südwand durchzieht. Unkundig in
diesem Felsenrevier fragen wir uns: „Ist dieser Weg zu begehen und ist er
schon durchgeführt worden?“ Mein Bergfreund Walter Scholz (kl. Wettersteiner,
Dresden) und ich springen auf, um die Südwand näher in Augenschein zu nehmen,
während Bergfreund Alfons Schuhmann seinen Kakao weiterkocht. Wir besichtigen
die Wand mit ihrem feinen, die Südwand durchziehenden Riß und kommen zu dem
Entschluß: „Es wird gehen, jedoch schwere Arbeit wird es geben.“
Schuhmann
verteilt seinen inzwischen zubereiteten Kakao und ist auch gleich dabei, als ich
mit dem Kletterseil unterm Arm zum gewählten Anstiege steige. Einen Riß
klettere ich zirka 4 Meter hinauf, doch mag ich mich noch so sehr wie eine Raupe
winden, ein Höherkommen ist direkt unmöglich, so daß ich zurücksteigen muß.
–
Wieder
hatte ich den Boden erreicht und stand bei meinen Freunden, doch die Südwand
hatte es uns angetan und stach in die Augen.
Ich
stieg nun etliche Meter davon an einem Kamin an. In dem engen Kaminstück kam
ich allmählich Seillänge um Seillänge höher auf einen Sockel. Von hier
traversierte ich die Wand zu dem Risse und gelangte durch diesen auf ein schales
Band, welches schrägaufwärts führte zu einem Felsgrat. Hinter dem Grate
versicherte ich mich und holte die andern nach. Als beide bei mir angelangt
waren, kletterte ich von dem Traversengrat aus eine glatte Rinne zirka drei
Meter abwärts. Kein Griff, kein Tritt gab mir Halt, nur auf das Haften meiner
Kletterschuhe und auf mein Gleichgewicht vertrauend, stieg ich abwärts zu einem
gewölbten Sockel und von diesem aufwärts auf einen Absatz. „Nachkommen“,
rief ich; doch ich konnte nicht sichern, da es keinen Halt für mich gab. Alfons
musste deshalb als letzter die Sicherung übernehmen und da alles glücklich von
statten ging, langte Walter bald bei mir an.
Währenddem
hatte sich unten auf dem Wege ein großer Touristenschwarm angesammelt und
niedergelassen, welcher unseren Bewegungen mit Spannung und Totenstille folgte.
Doch uns drei Bergler konnte dies wenig stören, ist ja der Klettersport hier
etwas sehr Seltenes und Neues. Ich versuchte nun den überhängenden
Risseinstieg zu nehmen, was ganz gut gelang, denn etliche Felsrippen boten gute
Griffmöglichkeiten. Einige Klimmzüge, ein Drehen des Körpers und ich war im
Riß verklemmt. Mit der rechten kletterte ich aufwärts und gelangte unter
Aufbietung aller Kräfte in eine Vertiefung des Risses, wo ich ganz hineingehen
konnte. Hier hielt ich Rast. Inzwischen holte Walter Alfons zu sich und folgte
nach dessen Ankunft meiner Bahn. Eine Sicherung war wiederum unmöglich, nur das
40er Seil konnte ich einziehen. Bald klemmte Walter zwei Meter unter mir im Riß,
sodaß ich weitersteigen konnte Der Riß verengte sich aber so stark, dass ich
aus ihm herausgehen musste und nur mit beiden Händen und dem rechten Bein
verklemmt, schob ich mich raupenmäßig und mit äußerster Kraftanstrengung höher;
senkrecht führte der Riß empor. Währenddem hatte Walter meinen Platz in der
Vertiefung eingenommen und gab mir das Seil nach. - - Endlich! – neigte sich
der Riß und ich konnte ganz hinein gehen. Es war auch höchste Zeit, denn ich
merkte, dass die Kräfte merklich nachließen. Wieder hatte ich ein wenig
verschnauft und nach zirka 10 Meter Stemmarbeit mit den Ellbogen und über
leichte Reibungswand langte ich auf dem sehr schwer erkämpften Gipfel an. Nicht
wie sonst klang mein „Frei“ hinaus, denn die Anstrengungen waren zu groß
gewesen. Doch von den Görlitzer Naturfreunden, welche über die Nordostwand
emporgeklettert waren, wurde mir kameradschaftlich die Hand gedrückt.
Ich
seilte mich aus, band zur besseren Sicherung das Seil in den Gipfelring ein und
holte Walter, der vorher Alfons bis zur Vertiefung nachgeholt hatte, auf den
Gipfel. Bald langte er auch bei mir an und gerade als er sich ausseilte, ertönte
vom Dorfe Oybin her das melodische Choral-Glockenspiel „Ein feste Burg ist
unser Gott“, was uns in dieser Bergfreiheit doppelt schön anmutete. Nicht
lange dauerte es, als auch Alfons den Gipfel betrat und stumm reichten wir uns
die Hände, denn jeder wusste genau in welcher Gefahr wir geschwebt hatten; im
Falle eines Sturzes hätte es gleich drei Opfer auf einmal gegeben. Doch jeder
hatte im Kampfe um den Fels sein Bestes hergegeben.
Glückliche
Stunden der hehren Gipfelfreude hielten wir Rast im Kreise der Naturfreunde,
Sektion Görlitz, auf dieser hohen Warte, und unter Glückwünschen trugen wir
die 14. Besteigung des Südrisses (seit 1903 begangen) ins ehrwürdige
Gipfelbuch ein.
Mit
den neuen Freunden seilten wir ab, zogen uns um und in kameradschaftlichen Gesprächen
schritten wir nach Oybin, wo wir im Kretscham noch eine schöne Nachfeier
verlebten bis wir uns mit den besten Wünschen trennten und zur Schutzhütte „Edmundshütte“
in Scharfenstein aufbrachen und Nachtlager bezogen.
Richard
Kutsche, Dresden Copitz August 1923