Kletterbiologie
Als Kletterer ist man ja gern in der Natur. Und wer gern in
der Natur ist, der ist selbstverständlich auch ein Naturfreund und allen
Geschöpfen des Waldes und der Felslandschaft wohlgesonnen. Allen Geschöpfen!
Wirklich allen??
Mitnichten!!!
Aus jeder Gattung der Biologie gibt es ein paar Geschöpfe,
die zwar öfter am Fels anzutreffen sind, die dort aber durchaus zum Ärgernis
werden können. Aber hier soll nicht die Rede sein von Brombeeren, Moos oder
Heidekraut, auch nicht von Wespen, Zecken, Hunden oder deren in Hinsicht auf
Tierbeherrschung inkompetenten Besitzern.
Hier werden vielmehr solche Geschöpfe beschrieben, die zwar jeder
Kletterer bereits unangenehm kennenlernen musste, deren Zugehörigkeit zu den
Lebewesen aber kaum bekannt war und die ihre Eigenschaften nur dem geübten
Kryptozoologen offenbaren:
- Der Much (Sordus incrusto) besiedelt enge Rinnen, Risse und Kamine und
benötigt zwingend Vegetation, um existieren zu können. Er sorgt dafür,
dass sein Habitat permanent mit Erde und Resten ebendieser Vegetation
verschmutzt ist.
Für Kletterer ist der Much meist nicht elementar gefährlich, sondern eher
lästig, wenn durch den Much beim Zu- oder Abstieg die schicken
Markenklamotten eingesaut werden. Der Much ist nicht verwandt mit dem àSchlonz,
dient diesem aber häufig als Wirt, da die Erd- und Pflanzenreste gern über
tieferliegende Felspartien rieseln und damit dem àSchlonz
willkommene Siedlungsstätten bilden. Ausgeprägte Vorkommen des Muchs
findet man in thüringer Rissrinnen
(z.B. Ritterkamin an der Eisenacher Burg oder der Nassen Wand am
Falkenstein) oder in vielen sächsischen Bellmannschen
Sockelresterschließungen.
- Der Bruch (Petrodelere demens) ist ein sehr entfernter Verwandter des
Echten Hausschwamms (Serpula
lacrymans), siedelt aber im Gegensatz zu diesem nicht auf Holz,
sondern auf Stein. Beiden gemeinsam ist, dass sie ihren Wirt auf Dauer zersetzen,
was zum Herausbrechen einzelner, fester Stücke bis zum kompletten
Zerrieseln reicht, letzteres wird im Sandstein auch als „Absanden“
bezeichnet. Wie der Echte Hausschwamm, der bestimmte Hölzer bevorzugt, hat
auch der Bruch bestimmte Vorlieben – besonders gut beobachten lässt sich
sein Verhalten z.B. auf dem Gamrig, im Großen Zschand, den Zittauer
Rosensteinen nach Nässeperioden oder am thüringer Meisenstein.
Der Bruch bildet verschiedene gesteinsspezifische Schadbilder aus, die vom
Absanden über das Auslatschen von Reibungstritten, Auswittern von
Abseilösen, Ausbrechen von Wackelzacken oder großflächigem Splitterhorror (Aschenbergstein:
Röllchen) bis zur kompletten Felszerstörung (Wartturm, Brummerlochspitze)
reichen.
Insbesondere im sächsischen Sandstein konnten in den letzten Jahren einige
nur leicht vom Bruch befallene
Bereiche durch den Einsatz eines „Sandsteinverfestiger“ genannten
Fungizids für den Klettersport hinreichend stabilisiert werden. In
großflächig vom Bruch verseuchten Gebieten wie dem Großen Zschand können
solche Maßnahmen aber immer nur punktuell wirken.
- Der Schlonz (Schlonzus L) ist ein den nordischen Trollen verwandter Kobold,
der ahnungslosen Kletterern auflauert, wenn diese nach einem rau-reibigen
Rettungsgriff oder -tritt suchen. Dort hockt er dann, lässt grinsend sein
charakteristisch-bösartiges „heii----wischschsch“ ertönen, überzieht den
Fels urplötzlich mit bösartiger Glätte und schickt den Kletterer
unverzüglich zurück in die Tiefe.
Der Schlonz ist Kosmopolit, d.h. er besitzt Rückzugsgebiete in fast allen
Klettergebieten dieser Welt. In den Regenzeiten beginnt er, neue Areale zu
besiedeln. Dabei erobert er zuerst geneigte Reibungsplatten, bevor er in
die senkrechten oder überhängenden Bereiche vordringt. Aus vielen dieser
Neubesiedlungen muss er sich zwar während trockener Perioden wieder
zurückziehen, bleibt aber in ständiger Bereitschaft. Ungeachtet dieser
Bedrohung bildet der Schlonz auch in scheinbar ewig trockenen Überhängen
stabile Populationen (z.B. in der Talseite der Bergfreinadel),
insbesondere dort, wo Wasser aus dem Fels sickert. Der Schlonz wird häufig
mit dem àMuch
verwechselt, ist mit diesem aber nicht verwandt.
Die bekanntesten Unterarten sind der Moosschlonz (Schl.
Bryophytinus), der Flechtenschlonz
(Schl. Liches) und der besonders
in Thüringen beheimatete Dauerschlonz
(Schl. Hangsteinus Einstiegsbereichi).
Sämtliche Unterarten des Schlonzes können aber miteinander Bastarde
zeugen, was die Bösartigkeit ihres Verhaltens zumeist noch verstärkt.
Eine in den letzten Jahren immer bösartiger gewordene, ausschließlich
anthropogene Mutation stellt der nur in Sandsteingebieten nachweisbare Maggischlonz (Schl. Missbrauchi Magnesii) dar. Trotz intensiver
Bekämpfungsmaßnahmen wie den Pfälzer Klettervereinbarungen oder dem
generellen Magnesiaverbot in den Labske Udoli kann sich diese Mutation
Dank der Unvernunft kletternder Egomanen einer stabilen Populationsdichte
erfreuen. Auch das Bouldern in Sandsteingebieten kann das Vorkommen des
Maggischlonzes ermöglichen, es ist aber umstritten, ob dies zu einer
Ausweitung des Maggischlonzes auf das gesamte Gebiet führen kann.
Interessanterweise lässt sich eine direkte Abhängigkeit des Maggischlonzes
von dem Vorhandensein fest installierter Sicherungspunkte in der Felswand bzw.
der Bodennähe beobachten, d.h. bei Kletterwegen, die eine anspruchsvolle
mobile Sicherung erfordern bzw. die üblich Höhe von Boulderblöcken
übersteigen, fehlt der Maggischlonz fast völlig. In nicht bekletterten
oder strenger Maggi-Restriktion unterworfenen Felsbereichen kann er
ebenfalls nicht existieren.
Eine Sonderform bildet der Trockenschlonz
(Schl. aridus), der sich auf oft
bekletterte Kalksteinrouten spezialisiert hat und dort völlig ohne
Feuchtigkeit auskommen kann. Er siedelt sich mit Vorliebe auf häufig
benutzten Griffen und Tritten an, insbesondere in den Einstiegen schwerer
Wege, in denen immer wieder herumhampelnde, hoffnungslos überforderte Nixblicker
sein Vorkommen stabilisieren.
In Kreisen der
Forschung existiert die Vermutung, dass der àSchlonz in
Bereichen mit starkem àBruch-Befall
zurückgedrängt wird. Möglicherweise lassen sich stark verschlonzte Bereiche
durch gezielte àBruch-Infektion
entschlonzen, der Nutzen für den Klettersport dürfte sich aber in Grenzen
halten.
Interessant ist
in diesem Zusammenhang, dass zwar àBruch und àMuch
häufig gemeinsam auftreten, àSchlonz und àBruch
hingegen eher selten: möglicherweise bricht in brüchigen Bereichen der Fels
schneller weg, als er verschlonzen kann. Und das, obwohl ja ein starker àMuch-Befall
eine durchaus geeignete Siedlungsgrundlage für den àSchlonz
bildet. Diese komplexe Wechselwirkung näher zu untersuchen dürfte ein fruchtbares
Feld weiterer wissenschaftlicher Betätigung der kletternden Jugend darstellen.
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