So
gut gesichert gelang es mir, den Weg schnell hinter mich zubringen
und entspannt zu genießen. Oben auf den Absatz holte ich den Doktore
nach. Der Schluchtwand gegenüber endet der Nonnensteig, ein in den
1990-ziger Jahren eingerichteter Klettersteig. Just in diesem Moment
kam eine ältere, dank schlechter gewordener akutischer Fähigkeiten,
laute Horde angegrauter Bergkameraden hinauf. Als sie uns sitzen
sahen, begann eine lautstarke Konversation über die von uns
vollbrachte Kletterei. Einer der Herren, wie sich später
herausstellte, war Wolfgang Glaser oder kurz Wolla genannt. Dieser
philosophierte über eine neue Kletterei, als Verlängerung der
Südwand direkt über dem Pfeiler auf welchem wir saßen, direkt zum
Gipfel. Dank des schönen Wetters hörten wir belustigt zu und
schauten uns spontan den geplanten Ausstieg an. Der Pfeiler bot noch
mal sechs Meter interessant aussehende Kletterei. Grinsend sahen wir
uns an. Als die Herrenbande lautstark um die Ecke Richtung Kneipe
bog, gingen wir ans Werk. Die Kletterei war ohne Ring recht spannend
und bot bis zum Gipfel interessante Züge. Wenig später saßen wir
auf dem Gipfel und trugen stolz unsere neue Erstbegehung ein.
Diebisch freuten wir uns, in Voraussicht auf das zu erwartende dumme
Gesicht.
Nach etwa zwei Monaten saßen wir an derselben Stelle unten auf
dem Pfeiler. In unserer Variante „glänzte“ eine alte Rostgurke.
Wolla hatte seine „Erstbegehung“ vierzehn Tage nach unserer
Begehung doch durchgezogen, ohne sich vorher noch mal das Gipfelbuch
anzusehen. Außerdem garnierte er den Weg mit einem Ring, der den
Namen Sicherungspunkt kaum verdiente. Dieser steckte über vierzig
Jahre im Vergessenen Turm und war, wegen der verlorengegangenen
Funktion als Sicherungsmittel, ausgetauscht worden. Der Fehler war
allerdings, den Ring dem damaligen Erstgeher wieder zukommen zu
lassen. Dieser schlug ihn, zwecks fehlender anderer Verwendung,
einfach wieder an anderer Stelle ein.
Hoffen wir, dass er bald gegen einen neuen Ring ausgetauscht oder
einfach weggelassen wird und seinen Weg ins Museum findet.
Wenig später gelang es uns in der Sächsischen Schweiz einen der
wohl schönsten Wege von Wolla, die „Sonnenwand“ am „Vorderen
Hirschgrundturm“ , zu begradigen, und das mit einem nachträglich
geschlagenen Normring. Aber das ist eine andere Geschichte:
Einige
Jahrzehnte dauerte es, ehe diese prachtvolle Wand beklettert wurde.
Bedeutende Kletterer mit klangvollen Namen wie Strubich und Dietrich,
aber auch Rost und Richter gingen an der Wand vorbei. Erst Wolfgang
Glaser gelang es, die abweisende Wand in ihren Randbereichen zu
durchsteigen. Das schwierige Risssystem im unteren Teil und auch der
glatte Ausstieg blieben ihm durch die schier unüberwindlichen
Schwierigkeiten verwehrt. Aber eine neue Generation wuchs heran und
mit ihr das klettertechnische Können. Ein gewisser A. scheiterte
beim Versuch, oben gerade raus zu klettern, noch Ende des 20.
Jahrhundert oberhalb einer kleinen Sanduhr. Das Risssystem unten
blieb ihm, mangels einschlägiger Risserfahrung versagt. Aber im Jahr
2006 war es soweit. Ein unerschrockenes Bergbaby wagte den
entscheidenden Schritt.
Nach erfolgreicher Durchsteigung des
Testpieces "Nordriss" am gleichen Fels, stieg er von unten
direkt in die „Sonnige Wand“ ein. Nach Einwerfen eines Dutzends
Schlingen gelang ihm die Durchsteigung des Risssystemes und der Wand
zum 2. Ring der „Sonnigen Wand“. Oberhalb dieses Ringes und der
nachfolgenden großen Sanduhr kam er an die Stelle, wo A. einst
schmählichst umdrehte. Dem Bergbaby gelang, wo vorher alle
scheiterten. Nur mit der dünnen Sanduhr gesichert schaffte er den
glatten Ausstieg aus der Wand. A. , nun am schlappen Ende des Seiles,
verlangte an dieser Stelle einen Ring. Dieser wurde vom später
nachfolgenden Bergfreund unter Verlust des Hammers gesetzt. Wer den
Hammer finden sollte, wird gebeten, ihn doch zurückzugeben, um
ihn der Nachwelt zu erhalten. Außerdem wird er gebeten, dass Loch,
was er dafür gegraben hat, nach verrichteter Notdurft wieder zu
verschließen.
Einem Weg dieser Bedeutung wurde dann auch der
passende Namen gegeben: "Malle".