Ein Rentner im Gebirge
Ich steige
im Talweg des Höllenhunds empor. Plötzlich deutet der sichernde Rossi nach
oben. Über mir schwingt sich ein Sologänger über die Südwestwand gipfelwärts.
Als ich am 2.Ring nachhole, sehe ich die Gestalt eines alten Mannes über den
Gipfel des Hinteren Höllenhundturmes hinweg zum Mittleren Turm klettern. Er
steigt barfuß. Weder Gurt noch Seil, noch sonst irgendeine Spur herkömmlicher
Kletterausrüstung begleiten ihn. Er steigt auf, er steigt ab. Auf dem Höllenhund
sitzend, sehe ich ihn die Südkante des Sechserturmes emporkrabbeln. Ich mache
mir Gedanken: Eine ältere Koryphäe des Bergsteigens, ein Ausbund an
Klettererfahrung und Felssicherheit? Namen großartiger Vertreter seiner
Generation paradieren durch meinen Kopf. Wer wohl wird es sein?
Am Fuße
der Höllenhund-Talwand sortieren wir unser Material. Da kommt das Männlein die
Holztreppe hinaufgewackelt. Eine Art Damennachtjacke ziert seinem Oberkörper.
Die Manchesterhose ist mit Bindfäden an dieser angekettelt. Ein verschmitztes,
glückliches Lächeln umspielt seine schmalen Lippen.
"Na, geht's jetzt an die Rostverschneidung?"
"Nein,
nein, mein Fahrrad steht oben. Ich fahre wieder heim nach Radeberg."
"Besitzt
Du überhaupt ein Seil, Klettergurt, Kletterschuhe?"
"Nein."
"Kletterst
Du immer allein?"
"Ja."
Wie bist
Du zum Klettern gekommen?"
"Ich
bin früher Wandern gegangen. Den Kletterführer hatte ich, um nachzusehen, wie
man zwischen den Gipfeln hindurchkommt. Dann konnte ich nicht mehr richtig
Laufen. Mein Knie schmerzte. Da begann ich aus Verzweiflung, auf die Felsen zu
kriechen. Zuerst Kamine. Einmal endete der Kamin ein paar Meter unterhalb des
Gipfels. Sollte ich jetzt umkehren? Ich hatte Angst. Aber es ging. Langsam gewöhnte
ich mich daran. Viermal bin ich schon am Seil gegangen. Am Eckzahn wurde der
Kamin immer breiter. Ein Kletterer gab mir vom Gipfel ein Seil. Auch im Abstieg
ließ ich mich ein paar Meter an dem Seil in den Kamin hinab, bevor ich so
weiter hinunterkletterte."
"Kannst
Du abseilen?"
"Nein."
"Wie
fährst Du in die Berge?"
"Mit
dem Fahrrad, immer mit dem Fahrrad."
Ein
einsamer Rentner, den der Liebe Gott gern hat.
Und wir sind so klein, so klein!
Quelle Bilder: www.lezec.cz
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