Der Dummie im
Paarschbruch
Es
war die „goldene“ DDR – Zeit, die 1980er-
Jahre vor der Wende, wo es fast nichts
gab, aber man als DDR – Bürger und Kletterer sich
wehren musste gegen die
Mangelwirtschaft, um zu überleben. Eine Zeit, in der dieser
Mangel auch Kreativität
bei den Kletterern auslöste und ein ganzes Sortiment von
Ausrüstungsgegenständen für das Bergsteigen
(und vieles andere!) individuell
und illegal entstand: Steigeisen, Steigklemmen, Schlafsäcke
u.a. Auch wir, Ralf
Brummer und ich, hatten eine Idee,
nämlich Sitzgurte herzustellen. Da das nun fast 30 Jahre
zurückliegt, kann ich
mich an die Anfänge kaum noch erinnern. Nur so viel, wir
wussten schon trotz
Mauer, was in der Welt geschah, lasen den
„Alpinismus“ von Hiebeler, der
Jahrgangsweise in gebundener(!) Form herumgereicht wurde und wo jeder
Buchstabe
mehrfach herausgelesen wurde, und was es an Entwicklungen gab. Also neu
für
uns: Klettergurte. Da war es erst mal gut, dass in unserer
Nähe eine Autogurtproduktion
gab, in Döbeln. Und gegen ein kleines Entgelt war damals der
Zutritt in fast
jeden Betrieb möglich und am Ende lag auch ein Sack voll
schwarzer Gurtreste in
meinem Trabant. Auch für jedes einzelne Zubehörteil
(auch Etiketten und
Beipackzettel mit Gebrauchsanweisung!) gab es eine Lösung nach
dem Motto
„Geht’s nicht, gibt’s nicht!“
Besonders die Schnallen waren ein Problem. Am
Ende mussten die sozusagen aus dem ganzen gefeilt werden. Anfangs waren
es nur
Brustgurte, später Kombigurte
(„Edeltraud“!), am Ende auch Hüftgurte.
Das nahm
dann ganz schöne Ausmaße an. Es sprach sich rum und
der Bedarf war hoch. Am
Ende war an der Herstellung einer größeren Charge
ein ganzes Kollektiv
beteiligt. Ich am Zuschnitt (eigens gebaute Abbrennmaschine), ein
Sattler zu
Nähen, Ralf zum komplettieren usw. So konnten wir unsere
Bergfahrten in den
Kaukasus und Pamir und am Ende auch unseren „Pik
Leipzig“ bezahlen. Nein, ein
besonders gutes Gewissen hatte ich nicht dabei. Weniger wegen der
Finanzen
(strafbar!?), als wegen der Verantwortung beim Gebrauch unserer
Gegenstände.
Zwar waren alle Einzelteile statisch geprüft, 20 kN mussten
sie schon im
Zerreißversuch halten, aber es fehlte lange Zeit der
dynamische Gesamttest auf
einem Prüfstand. Nun mach mal so einen Test, wenn du nichts
hast! Also erst mal
einen Prüfkörper herstellen, geht ganz leicht: Zwei
kleine Rohre an ein
größeres anschweißen, auf die Waage
stellen und mit Beton füllen, bis diese 80
kg (UIAA- Norm) anzeigt. So einfach! Da lag er nun, der
Stahlbetonmensch. In
dieser Phase kam uns Rainer Schubert zu Hilfe, der auch schon einen
Teil der
bisherigen Prüfungen gemacht hatte. Rainer war
„Chef“ der Hallenser Bergsteiger
und bot uns den Paarschbruch bei Löbejün für
die Prüfung an. Auch wieder ganz
einfach: Wir banden den Prüfkörper einfach an zwei
DDR- Seile., die 5m tiefer
an einem guten Ringhaken befestigte waren und warfen den Mann
über den
Klippenrad. Genau ein schöner brutaler Sturzfaktor 2, wie er
maximal beim
Klettern vorkommt. Lange dauerte der Test nicht, dann sind die Seile
gerissen,
der Mann lag unten mit heilem Gurt und ich konnte wieder ruhig
schlafen.
Übrigens ist diese Situation fast nochmals entstanden: Bei
einer Fernsehsendung
„BIWAK“ mit Horst Mempel im Studio des MDR holt
dieser unabgesprochen einfach
so einen Gurt hinter seinem Rücken vor und sagt:
„Erhard, nun sag mal was
dazu!“ Und genau so hat er dann meine verblüffte
Reaktion gesendet.
Ja,
und wenn er nicht gestorben ist, liegt der Mann noch heute in dem nun
stark
veränderten Steinbruch und wäre ein Fall für
das Museum.
An,was
man sich alles so erinnert, wenn man die kleinen
Schwarzweißbilder von damals
wiederfindet, siehe unten.
Ergänzung
von Alma: Solch einen Gurt hatte ich auch, über Umwege bei der
damaligen Lok Eilenburg von einem Kletterfreund bekommen. Ich habe den
Steinmann Anfang der 1990er Jahr nicht mehr im Paarschbruch gesehen
(aber auch nicht gesucht).Leider gibt es den Paarschbruch von damals
auch nicht mehr in der Form, da wird ja wieder abgebaut.

Erhard
Klingner
Leipzig,
an einem trüben, nassen Wintertag im Februar 2012
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