3.10.1999
Nach
einem schönen Klettersonnabend werde ich früh um 8 von Lutz geweckt. Er ist
wohl schon wieder klettergeil? Na, es ist gut so, man will ja nicht den ganzen
Sonntag verpennen. Beim ersten Erhebungsversuch aus dem Schlafsack kollidiert
mein Kopf mit einem über ihm baumelnden Essensbeutel. Beim 2. Versuch klappt es
dann. Nun geht es an die Frühstücksvorbereitungen. Geschickte und altbekannte
Taktik von Lutz: rücksichtsvoll versucht man, leise zu sein, aber man kann
dennoch nicht verhindern, daß nun alle wach werden. Demzufolge beginnt es sich
nun in der Boofe zu regen.
Um
ein Minifeuerchen, was Ruwe nun entzündet hat und welches bald von uns wieder
ausgetreten (noch ist Feuern nicht verboten, aber...), sitzen nun die Frühstückenden,
viel wird noch nicht gesagt. Einige bereden die heutigen Projekte, Jule will den
Illmerweg „angucken“. Trüffel bleibt gleich im Schlafsack und frühstückt
dort sein obligatorisches Lungenbrötchen. Ich schiebe mir gemächlich ein paar
Handvoll „Sportkletternahrung“ (Müsli) in den Mund, es folgt eine Scheibe
Brot mit Nutella. Noch ist sie nicht aufgegessen und es wird schon Streß: Lutz
steht plötzlich in voller Kletterausrüstung vor mir und fragt: „Kommst du
mit?“ „Wohin?“ „Die Südwand!“ Meine Begeisterung hält sich in
Grenzen, „habe“ ich sie doch schon. Also fragt Lutz erstmal einige andere.
„Claudi! Kommst du mit?“ „Ich
muß jetzt nach Hause.“ Ich weiß nicht, welche Kräfte im Folgenden am Werk
waren, jedenfalls verschwindet sie zwei Minuten später mit Lutz aus der Boofe,
nachdem mir Lutz noch schnell seinen Foto in die Hand drückte ...
Ich
weiß nicht, wie es geschah: Jule und ich waren schon langsam in
Aufbruchstimmung in Richtung Falkenstein, ich in Erwartung eines
nervenschonenderen Nachstiegs, kam es wie aus heiterem Himmel und ohne vorher
einen Gedanken daran verschwendet zu haben, aus mir heraus: „Wir können ja
erst mal zur Naumannhangel gehen!“. Gesagt, getan, es kam nun Hektik auf: Wibi
Lutz´ Foto anvertraut, schnell Zeug gerafft (kurze Schuh-Diskussion: gut =
bessere Felshaftung oder alt = geringere Gefahr einer Fußgelenk-Fraktur im
Falle eines Falles; fiel schnell zugunsten von „Gut = 5.10“ aus) und zum
Einstieg gerannt, geht es fast sofort los, bevor ich es mir noch anders überlege.
Denn der erste Ring ist hoch, und groß mein Respekt vor diesem Weg, zumal
Hangeln keinesfalls mein Ding ist. Wenn mir die Kraft vorm 1. R ausgeht.... mir
läuft noch heute ein Schauer über den Rücken, wenn ich an die
Kampfturm-Direkte-Südwand-Begehung letzten Winter denke...
Aber,
obwohl ich bereits den Bericht von Günter Sturm über seine
Naumannhangelbegehung Ende der 1940er gelesen habe, halte ich das Stück bis zum
1. für die moralische Schwierigkeit, und es erscheint mir möglich. Darüber
hinaus erscheint die gen Himmel sich aufschwingende Rippe anziehend, so
herausfordernd, da muß man einfach
einsteigen. Dieser Weg ist ein Begriff und großes Ziel für mich, seitdem ich
klettern gehe.
Also
hangele ich los, wenige Minuten nach der Beschlußfassung. Ich mache relativ
weite Züge und große Schritte, um die besten Tritte auszunutzen und Kraft zu
sparen, denn Hände und Füße müssen hier relativ eng beieinander gesetzt
werden. Nach den ersten Zügen merke ich schon, daß ich meine ganze Kraft
aufwenden muß, um vorm Ersten nicht hinunterzufallen. In einem Nebel der
Konzentration verschwand alles, nur der nächste Griff und Tritt sowie der
anvisierte Ring erschienen klar. Darin gingen auch die Anfeuerungsrufe von Jule
unter, die ich anfangs noch wahrnahm. Da ich recht entschlossen bin und auch
nicht hinunterschaue (in meinem Kopf: hinauf!),
erreiche ich den Ring relativ problemlos.
Die
Umgebung wird kurz wieder deutlich und ich vernehme auch Jules Erleichterung und
Glückwünsche, kurzes Stehen und Schauen, von einem Ruhen ist nicht zu
sprechen, und der Entschluß: Weiter geht´s! Verbietet es doch der Respekt
gewissermaßen, sich in einen nR zu setzen. Geht es die ersten Meter vom Ring
weg gut wie bisher, komme ich am berüchtigten „kleinen Überhang“ ins
Flattern und weiß, daß ich nun deutlich an der Sturzgrenze klettere. Doch ein
Blick zum Ring und eine Frage an Jule beruhigen mich: sie hat mich noch. Das
Wissen, es gibt kein Zurück, Vertrauen in Jule und das Wissen um noch
vorhandene Reserven treiben mich also die Rippe hinauf, bis sie sich legt und
ich erleichtert den Fuß in den Riß schiebe und mich auf die Rampe wälze
(„mit Abzügen in der B-Note kann ich leben“). Der Zweite wurde verdächtig
schnell geklinkt und ich nahm sofort „ran“. Mein erstes Gefühl am Ring war
Respekt vor den Alten, denn nur zu hoch über dem Boden war ich schon.
Vom
Ersten war ein frei-Seil-Blick nach unten noch erträglich, aber vorm Zweiten hätte
auch mich die „blasse Furcht vor dem Ende hinaufgeschüttelt“ – wenn ich
überhaupt erst eingestiegen wäre! Nun beschleicht mich Bangen vor dem
Weiterweg. Weiterhin, aber nun erfolglos wehre ich mich gegen das Wissen, daß
hier Leute sackten, Leute flogen, die noch ohne den nR die Rampe erreichten (Günter
Sturm...). Ausgiebig baumele ich in der Sesi, bevor ich einen
„Erkundungsvorstoß“ starte. Nach ein paar leichten Metern bin ich nun also
direkt vor Ort und stelle fest: schlimmer noch als es aussieht! Ein zum
Schlingen-Aspirant gemachtes Schüppchen löst sich buchstäblich auf. Die vage
gekeimten Hoffnungen, sicher im Riß bleiben zu können, schwinden. Es klemmt
nicht, aber nimmani! Ich stehe, schaue, der Prozeß der Entschlußbildung.
Hangeln? Ängstlich schleichen meine Gedanken sich drumherum, denn es wird hart!
Die
Kante ist nicht besonders scharf, aber gerade so nicht hoffnungslos rund, die
Tritte eine sandrieselnde absolut glatte Wand, die Körperstellung sehr abgedrängt
und Hangeln wie gesagt nicht mein Ding. Nur fünf Meter, aber viele, viele kräftezehrende
Hangelzüge ohne ein Zurück und ohne Sicherheit, ob die letzten Züge überhaupt
gehen werden. Das „danach“ wird auch begutachtet: der Knick scheint die
Rettung, Schlingen werden vorbereitet. Dann ist es wohl gegessen. Was meine
Entscheidung noch beeinflußt: wenn ich aus dem Riß stürze, falle ich auf die
Rampe, das gibt interessante und anspruchsvolle Arbeit in der Chirurgie...
Wenn ich hangele, habe ich eine Chance, links die Wand runterzustürzen,
oder kurz bevor es überhaupt nicht mehr geht, einen kontrollierten Absprung zu
machen. Jedoch ahne ich im Hinterkopf schon, daß jeder Zug „kurz bevor es überhaupt
nicht mehr geht“ sein wird und ein Abspringen aus geballter Hangelstellung
schlichtweg unmöglich ist. Ideen wie die Rampe mit gepackten Rucksäcken zu
polstern, werden wieder verworfen. Der Aufwand! Und es ist unsportlich... Es
wird auch so gehen. Wieder zurück am Ring, versuche ich einfach gar nichts zu
denken, allein zwischen Raum und Zeit. Ein Versuch, bereits halbherzig. Ein
kurzes Begeben in die Hangelstellung läßt mich entsetzt für eine weitere
Viertelstunde zum Ring zurückkehren.
Nun
meint Jule: “Nun könnte es eigentlich anfangen zu regnen“, das und einige
fallende Tropfen schrecken mich auf – alles Bisherige soll nicht umsonst
gewesen sein, und ein Sack stand nicht auf dem Programm. Also starte ich nun
einen von der Motivation her ernsthaften Versuch. Fünf Minuten stehe ich nun
bereits am Beginn der Schwierigkeiten, mein Gefühl „das ist der Versuch“ ist bereits am Schmelzen, als ich mich plötzlich in
der Hangel hängen sehe! Im Nebel der Konzentration wird Zug für Zug gemacht,
anstrengend, schwer, es geht aber immer gerade so, es ist gerade noch
kontrolliertes Sturzgrenze-Klettern. Angst treibt mich hinauf (auch die Zahl
VIIc = wird schon gehen), aber nicht Panik. Zug für Zug – plötzlich nur noch
zwei, einer, schon hascht die Hand nach dem Absatz, der Körper schwingt in die
Verschneidung – Erleichte... Scheiße – ich dachte, hier wäre es vorbei –
kann ich doch keine Schlinge legen – larvig schwer wird es noch – doch, ich
werfe eine Bandschlinge über den runden Absatz – sie verbessert mein Gefühl
ganz erheblich! Nun werden aus dieser relativ bequemen Stellung heraus einige
Versuche, die Rippe nach dem Absatz zu erreichen, gestartet, um knieschnaggelnd
wieder in die zurückzukrauchen.
Bald
ist heraus: auf die Wand hinaus muß ich, runde Griffe, aus dieser Stellung
heraus strecken, um die scharfe Rippe richtig zu fassen zu bekommen. Es braucht
wieder viel „Entschlußbildung“ und ein Bewußtsein meiner weiter
schwindenden stark nachgelassen habenden Kräfte, um mich unter Anstrengung auch
diese Züge tun zu lassen, und haste nun die Platte entlang, bis ich nach
weiteren 5 m nun eine Schlinge legen kann! Gleich zwei, quasi ein Ring! Natürlich
mache ich mir in dem nun noch folgenden Kamin noch das Leben schwer, an einer
engen Stelle mache ich einen ausgiebigen Steckenbleibversuch... Kaum noch Kraft
zum „Keulen“ habe ich, doch nun ist nach knapp 50 Metern eine Nachholestelle
erreicht. „Aussichern!“ Erschöpft. Noch freue ich mich nicht richtig, bin
eher verärgert über das zeitaufwendige Drama, was ich aus einer Sternchen-VIIc
mit nR gemacht habe. Jule steigt nach. An gewissen Wegen hat der Nachsteiger
genauso seinen Anteil, mit jedem hätte ich´s nicht geschafft. Über grüne
Schrofen geht´s zur Terrasse. Die Erschöpfung geht, die Freude kommt. doch nun
müssen wir los, zum Einschreiben bleibt leider keine Zeit...
Übermütig
machen wir uns an den Abstieg, inclusive Doppelabseilen. Claudi wartet unten,
sie müssen los. Ich gehe zu den anderen, berichte ( „***VIIc oder VIIIa ungenügend
gesichert“), gemütlich lasse ich den Tag ausklingen, der bald regengetränkt
zum Badewannen-Abend wird. Vorher noch: zugfahren, essen, Günter-Sturm-Artikel
lesen, nun verstehend und mitfiebernd.
Wieder
einmal war ein jahrelang erträumter Weg gemacht, der intensives Erleben, tiefe
Befriedigung und langes Erinnern bringt. Die Zahl, die dahintersteht, ist völlig
egal. Es ist „nur“ der Weg, das Erleben, intensive Gefühle, Stolz, Freude.
Ein Augenblick im Leben. Es gelang mal wieder eine „kompromißlose Heldentat für
kleine Leute“. Das Salz in der Suppe des Kletterns.
Nun
versuchte ich also, einen persönlichen Bericht ähnlich dem von Günter Sturm
zu schreiben, und dies ist das, was im Eifer des Gefechts dabei herauskam. Es
mutet nun alles dramatischer und größer an, als es war. Aber ich werde es
beileibe nicht wieder löschen. Es sind ja eigentlich nichts weiter als 45
Meter. Und ein ganz normaler Klettertag.
Kristina
Rohde 04.10.1999
Anmerkung: 2003 konnte ich im Nachstieg feststellen, daß der Riß nach dem 2.R doch recht gut klemmt und auf Riß geklettert dann doch deutlich leichter ist...