Es
ist allgemein bekannt, dass bei Kletterern eine Schraube locker ist. Die Meisten
geben es auch zu, und je nachdem wie locker das Teil sitzt, kommt es zu den
ungewöhnlichsten Unternehmungen. Abhängig davon wie spektakulär so was dann
ist, wird man dann bewundert, ausgelacht oder es wird nur festgestellt: Jetzt
ist es bei dem auch soweit! Das Verblüffende an diesen Ideen ist, dass diese
irgendwann einfach da sind. Anfangs lacht man noch über den Unsinn, aber plötzlich
ist man schon dabei, die Idee auszubauen, zu planen oder in die Tat umzusetzen.
Mich erwischte es am Abend des 25.8.1995. Ich saß allein auf der Hohnsteiner Hütte
und wusste nicht so recht, was ich den nächsten Tag machen sollte. Es war
relativ schlechtes Wetter, der Fels recht feucht und wie schon erwähnt, ich war
allein. Wahllos blätterte ich in einem Kletterführer und überlegte, wo man
so’n paar Quacken abhaken könnte, leicht müssten die schon sein, nah
beieinander wäre auch nicht schlecht und kein weiter Anmarsch, falls es richtig
regnet...
Am nächsten Morgen fand ich
mich im Bielatal wieder und lief Richtung Johanniswacht. Kletterschuhe,
Trinkflasche und zwei, drei Müsliriegel – es regnet sowieso gleich, aber ein
paar Gipfel kann man ja machen. Man könnte ja mal sehen wie viel Einser-Gipfel
man hintereinander schafft.
Und schon geht’s los:
Atariastein, Johannismauer – weiter zu den Wiesensteinen: Zauberberg,
Wiesenkopf, Mittlerer Wiesenstein – es regnet immer noch nicht: Wigwam,
Glasergrundwächter, Unbenannter Turm, Glasergrundwarte und -wand, Große und
Kleine Zinne, Rumpelstilz, Schwarzmühlenwächter, Waldturm, Bielazinne,
Osterkegel.
Der nächste „Einser“ steht
verdammt weit hinten, die Schneewand. Die hatte ich schon mal vor geraumer Zeit
„von unten“ gesucht. Also besser diesmal von oben ran. Zwei Stunden später
sitze ich oben. Die Beine von Brennnesseln zerstochen, Schweiß und Dreck bilden
eine schmierige Schicht auf Armen und Gesicht – blöde Idee „..von oben!“
Aber jetzt ist es auch egal, schnell noch den Castello gemacht, damit ist diese
Bielatalseite abgearbeitet. Runter an den Bach – erst mal säubern. Der Himmel
wird immer dunkler, aber ob ich beim Vorlaufen nass werde oder erst noch schnell
ein paar Gipfel mache, ist einerlei: Euklid, Xerxes, Perikles, Akropolis, Südwestliche
Gralsburg, Ameisenstein, Schwarze Wand.
Wo bleibt, verdammt noch mal,
der Regen? Trinkflasche ist leer, der Magen knurrt, also schnell den letzten Müsliregel
gegessen.
Mittelwand, Falkenwand,
Hilfssheriff, Sheriff, Würfel, Versteckte Wand, Bonze, Unke, Troikapferd, beide
Eislochtürme, Felicitas und Waldschratt – die Ottomühle! Am Kiosk schnell
eine Stärkung und vor dem nahen Regen schnell zum Auto, natürlich über
Ottostein, Dachsenstein, Zarathustra jr., Ringelturm, Gesuchter Turm, Glück-Auf-Turm,
Nasser Stein, Raupe, Mandarin, Sonnenwendstein, Hallenstein, Wegelagerer...
Verflucht jetzt regnet es doch
noch! Ich sitze unter dem Block an den Herkulessäulen und zähle im Kletterführer
die noch möglichen „Einser“ im Tal.
Acht...bloß noch acht?...Na
dann los, sch.... auf den Regen!
Kleiner Herkulesstein,
Herkulessohn, Hinterer und Vorderer Schroffer Stein, Herkuleswand, Zerklüftete
Wand.
Schnell auf der Gegenseite noch
mal hoch und Baumschulenwarte und Doggenturm abgehakt. Im Auto dann der Schreck:
Es ist fast dunkel und da gibt es doch noch die Waldkapelle ganz vorn...Es war
schon stockfinster, als ich kurz vor 21.00 Uhr wieder heil unten war.
Und was hat es mir außer 60
Gipfelbucheintragungen und dem folgenden Muskelkater gebracht? Meistens bloß
Kopfschütteln und den Kommentar: „Da hast du wahrscheinlich die längste
Wanderung gemacht, die im Bielatal möglich ist“.
Einige Monate später steht im
SBB-Mitteilungsblatt: Der Dresdner Uwe Richter hat am 17.07.96 im Bielatal 100
verschiedene Gipfel an einem Tag bestiegen – Grund: eine Wette.
Komische Leute diese Kletterer,
mit noch komischeren Ideen...