Der Klettersport in der Sächsischen Schweiz

Wenn man den Leuten vom Klettersport in der Sächsischen Schweiz erzählt, so glauben sie zumeist, dass man ihnen ein Märchen auftischen wolle. Kann man es doch genügsam erleben, dass die Ausrüstung des Bergsteigers auf unseren Bahnhöfen einem starken Kopfschütteln begegnet, denn wozu Bergschuhe, Kniehosen und Rucksack, wo man die liebe Sächsische Schweiz im Sonntagsstaat an einem Tage nach allen Himmelsgegenden durchqueren kann.

Ob es ein Unglück ist, dass unsere Sächsische Schweiz für die Touristik noch höchst oberflächlich beurteilt wird? Ich glaube ein Glück, wenn es unserem schönen Gebirge auch nicht zu einem besonderen Ruhm gereicht, dass der Zug seiner Besucher immer wieder nach den bekannten Bergen, der Bastei, dem Prebischtor, dem Kuhstall usw. geht, wo man auf breiten bequemen Wegen wandelt und in behaglichen Gasthäusern seinen Leib mit den erlesensten Genüssen der Kochkunst pflegen kann.

Um die Erschließung und Wegbarmachung der Sächsischen Schweiz ist es ja für breite Kreise eine schöne Sache. Der Mensch ist heutzutage bequem geworden und muß man Rechnung tragen. Aber es sage mir nur keiner, dass es ein besonderer Genuß ist, an einer Stelle zu stehen, die durch Eisengeländer abgeschlossen ist, wo einem drei oder vier Enthusiasten auf den Beinen herumtreten, und wo man an den herrlichen Felsen überdies lesen kann, dass Rohn oder Schulze auch schon einmal hier gestanden und die Aussicht bewundert haben.

Führ viele Leute ist die Sächsische Schweiz überhaupt nur eine Jagd nach Aussichtspunkten; mit einer wahren Wut rennen sie auf jede ihnen erreichbare Höhe, um dann gewöhnlich nicht etwa in Entzücken über die Aussicht auszubrechen, sondern um die zu ihren Füssen liegende Bergwelt an den Fingern herzuzählen. Das bereitet ihnen ein unmenschliches Vergnügen. Es gibt eben auch hier eine ergötzliche Philosterei, gut für Bergbanausen und Blasierte und die, die glauben, die Sächsische Schweiz mit 2 Tagen abtun zu können. Aber für uns Jungen an Körper und Seele, die Jahre sind dabei nebensächlich, das weiß ich von manchen, der längst grau ist, wir Jungen, was sagen wir dazu? Ach, wie ich sie mir jung liebe, ihrer sind doch noch herzlich wenig. Man kennt sie schon alle an der Nase, wenn sie morgens zum sogenannten Touristenzug anmarschiert kommen, ein kleines, tapferes Häuflein, gar nicht an Zahl zu vergleichen mit dem Menschenstrom, der besonders an schönen Sonntagen die Sächsische Schweiz durchflutet. Ich möchte sie die Einsamen nennen, und wahrlich, die Einsamen sind die stillen, feinen, begeisterungsfähigen Kenner der Sächsischen Schweiz und ihrer Natur, dieser Natur, die in den kühlen Schluchten und tiefen Gründen ein heimliches Leben weht, wo des Morgens sich der Nebel zu zarten Schleiern ballt und wo die köstliche Frische der taugetränkten Tannen uns tief und freudig aufatmen lässt, dieser Natur mit den trotzigen Zacken, den verwitterten Wänden, an denen das Moos leuchtet und die der wetter-harten Tanne ein bescheidenes karges Felsennest bieten. Diese atmende, kraftstrotzende Natur will nicht durchstürmt, sie will verstanden und genossen sein in ernster weltfreudiger Naturandacht. Dann weiß man erst, was der Wald und das Gebirge dem Menschen sind. Wie es sich köstlich am Bergeshang, auf der Waldwiese träumt, wenn Rast gehalten wird und der eine auf dem Rücken liegt und durch die Tannenwipfel zum Himmel lugt oder der andere dem ruhigen Fluge der Raubvögel folgt, die mit hässlichem Geschrei um eine Felsnadel streifen.

Neben dem Genießen, und in der Kunst des Genießens sollte jeder Freund der Berge aufgehen, verlangt die Touristik allerdings noch eine andere Fähigkeit, die unumgänglich ist, dass eine gesunde Seele auch in einem gesunden Körper wohne. Damit soll nicht gesagt sein, dass sich nur der Gesunde für den Bergsport eigne. Die freie Natur, die Waldluft ist eine wundersame Spenderin, sie stärkt und kräftigt uns und wie mancher weiß es aus eigener Erfahrung, dass ihn ein längerer Weg in der dunsterfüllten Großstadt ermüdet, während er im Gebirge 6, 8 und mehr Stunden zu wandern vermag.

Daß das Wandern verstanden sein will, weiß jeder Tourist. Ein Drauflosstürmen ist kein Wandern. Wandere mit Bedacht und genieße, atme tief und selig, dabei vergisst man die Alltagssorgen und lebt wie ein König in einer einzig schönen und sonnigen Welt.

Die Touristik besitzt noch etwas vom Nomadenleben, die Ungebundenheit, die Sorglosigkeit und der freie Wille sind ihr schönstes Teil. Der echte Tourist gleicht in mancher Hinsicht dem Zigeuner, den die Luft am Sichausleben durchströmt.

Ein starker Reiz des Bergsports liegt jedenfalls in der Ausrüstung. Sie hat viel Malerisches und genießt dabei den Vorzug, dass sie der Praxis ihre Ausgestaltung verdankt. Wer in Knie-hosen und Nägelschuhen einmal über Berg und Tal gewandert ist, der mag nicht wieder von ihnen lassen. Er ist ein anderer Mensch.

Und ein Tourist dieser Art soll sich auch etwas zutrauen dürfen. Er soll von seiner Kraft opfern und sich nicht scheuen, Strapazen zu ertragen. Der starke Verbrauch an Kraft, der nicht ein gewisses Maß überschreitet, ersetzt und verdoppelt unsere Körperkraft bekanntlich in wunderbarer Weise. Das Verjüngen und das Erhalten unsres Körpers ist das köstlichste Ziel der Touristik, neben der Erfrischung und Belebung des Geistes. Das Wandern in unserem Gebirge wird indes einen kräftigen Körper nur höchst selten völlig absorbieren können, wenigstens nicht in dem Maße, dass unsere ganze Muskulatur davon Vorteil zieht. Hier tritt der Klettersport in sein Recht, einer der vornehmsten Leibesübungen der Jugend und der Kraft, die sich ausleben will

Das Wandern wird den Körper immer nur einseitig beschäftigen und ausbilden, das Klettern jedoch verschafft ihm ein höchst wohltuendes Spiel aller Muskeln und Kräfte, es macht den Körper elastisch, schmiegsam, sehnig, kurz, durch die mannigfachen Bewegungen, die der Kletternde ständig zur Überwindung hunderterlei Schwierigkeiten macht, gewinnt der Körper eine einzige Widerstandsfähigkeit, sowohl zur Erhaltung und Kräftigung seiner Gesundheit, als auch im besten Sinne des Wortes gegen viele Fährlichkeiten des Lebens, wobei die Ausbildung geistiger Fähigkeiten wie Umsicht, Kühnheit und Entschlossenheit nicht zu unter-schätzen ist.

Die Sächsische Schweiz gehört zu denjenigen Mittelgebirgen, die als sogenannte Kletterschulen obenan stehen, und die die beste Vorbereitung für Bergfahrten im Hochgebirge, besonders in den Dolomiten sind. Viele Steinzinnen und Nadeln weisen den eigenartigen, wildzerklüfteten Typus des nackten Dolomitfels im kleinen auf, und die an unseren heimischen Kletterbergen zu überwindenden Schwierigkeiten werden sich vielfach mit denen des Hochgebirges messen können. Man hört sogar nicht selten behaupten, dass die Sächsische Schweiz Kletterpartien besitzt, wie sie exponierter im Hochgebirge kaum vorkommen werden. Das ist eine ernste Mahnung für jeden Kletterfreund, die drei Hauptbedingungen dieses Sports: Übung, Sicherheit und Findigkeit niemals zu unterschätzen, d. h. vor allem beim Kleinen anzufangen und mit Großem aufzuhören, und selbst dann sich Gefahren nicht mit einem gewissen Wagemut auszusetzen, der mit den allgemeinen touristischen Gebräuchen nicht in Einklang zu bringen ist. Das Schicksal des unglücklichen Dr. Brosin wird jedem gewissenhaften Touristen vor Augen stehen, der zwar sonst ein ausgezeichneter Kletterer war, aber es liebte, Besteigungen des Bloßstockes, der nach ihm benannten Brosinnadel usw. allein und ohne Seilsicherung auszuführen. Derartig schwierige Touren, wie sie das Schrammsteingebiet in größerer Anzahl aufweist sollen bekanntlich nur in Gesellschaft unternommen werden.

Über die Klettertechnik in der Sächsischen Schweiz kann ich mich ebenfalls kurz fassen. Man tut als Neuling jedenfalls immer gut, sich bewährten Kletterern anzuschließen, die die Führung übernehmen, denn ohne solche dürfte es für den Anfänger wohl überhaupt ein schöner Traum bleiben, unsere bekannten Kletterberge zu bezwingen. Ob man nun bereits geübt oder nicht geübt ist, so wird man immer gut tun, die Tritte und Griffe, welche der Vorkletterer benutzt, genau zu verfolgen und selbstverständlich zu benutzen, wo man aber dies aus irgend welchen Grunde nicht tut, jeden Tritt und Griff auf seine Sicherheit zu prüfen.

Am sichersten aber wird immer der klettern, der getrost alle Viere benutzt und sich auf drei Glieder stützt, bevor er weiter geht. Auch sind in den mannigfachten Lagen die verehrten Vierbuchstaben ein ganz einziges Sicherungsmittel, worauf schon der Schneider durch Verdoppelung des Hosenbodens hinweist. Kleidung und Felsen besitzen stets eine gewisse Adhäsion, und wer den Stein liebevoll umklammert hält, sowie auch sonst sich mit aller erdenklichen Zärtlichkeit ihm anvertraut, dem wird er bald ein guter Freund werden. Vertrautheit mit dem Felsen ist bei Kaminklettereien die beste Hilfe, denn wenn der Rücken an der einen Wand liegt und die Knie oder Füße an der andern, so kann man sich leicht und sicher nach Schornsteinfegerart herauf und hinunter bewegen. Im übrigen macht nach einem bekannten Sprichwort auch hier Übung den Meister.

Ich komme nun schließlich zu unseren Kletterbergen selbst. Ihre Mannigfaltigkeit macht sie zu einem Übungsfelde besonderer Art, das, nebenbei erwähnt, fast vollständig frei von einem bösartigen Feind der Hochtouren in den Alpen ist, dem Steinschlag. Auch kommt beim Sandstein die Brüchigkeit des Dolomits nicht in Frage. Man kann sich also besonders als Anfänger vollkommen mit seiner Ausbildung befassen, ohne derartig unliebsame Überraschungen beführten zu müssen, wie sie in den Alpen keine Seltenheit bilden.

Bevorzugt wird zu Klettertouren gewöhnlich das Bastei- und Schrammsteingebiet. Als leichteste Kraxelei gilt wohl allgemein der Rauschenstein in unmittelbarer Nähe der Schrammsteine, dessen Besteigung im untersten Teil durch Spreizen erleichtert wird, während im oberen Teil Stufen in den Felsen gehauen sind, so daß man ihn ruhig als Damenberg bezeichnen kann. Damit soll jedoch für die verehrten Damen durchaus kein Ausdruck der Geringschätzung verknüpft sein, denn es sind verschiedentlich vom schönen Geschlecht wesentlich schwierigere Berge der Sächsischen Schweiz bestiegen worden, ich weiß allerdings nicht wie, da ich bis heute noch nicht Gelegenheit hatte, in Gesellschaft einer schönen Frau mir die Reize des Kletterns zu verdoppeln.

Schon etwas gewagtere Klettertouren bilden verschiedene, zum Teil höchst originelle Felsgebilde im Honigsteingebiet, wie Lokomotive, Lamm und Storchennest, letzteres mit dem sogenannten Tritt der Verzweiflung, den man allerdings am besten überwindet, wenn man Beine von der Länge des Storches hat.

Der Anstieg zur Lokomotive führt über einen sogenannten Reitgrat zu einem schmalen Bande, von dem man sich in einen überhängenden Kamin schwingt, Nach Bewältigung dieses kurzen Kamins traversiert man auf ein ziemlich schmales oberes Band, von dem man über eine Wandstufe den Gipfel erreicht.

Zu den beliebtesten Klettertouren für bereits Geübtere gehört die Besteigung der Kleinen Gans im Basteigebiete. Von zwei Anstiegsrouten ist der sogenannte gewöhnliche Weg der leichtere; er führt über Schrofen und Platten zu einem Sattel, von dem aus ein 12 Meter hoher enger Kamin zu durchklettern ist, der zu einem bewachsenen Felsvorsprung führt. Nach Überwindung eines kleines „Wandels“ gelangt man glücklich auf den Gipfel, wo man in aller Ruhe beim Anblick der schönen Welt eine Pfeife rauchen und überdies seine Heldentaten einem Gipfelbuch für die Nachwelt anvertrauen kann.

Der zweite Weg führt durch den Gühnekamin, eine ungleich schwierige, zum Teil exponierte und anstrengende Klettertour. Bereits der Einstieg erfolgt durch einen Kamin fast ohne Griffe, von dem es an einer Felsrippe ein Stück hinuntergeht, worauf man drüben über Schrofen zu einem breiten, noch glätteren Kamin gelangt. Er führt zu einem kanzelähnlichen, schmalen Vorsprung, auf dem nur zwei Personen Platz haben. Durch einen kühnen Schwung wird der letzte Kamin erreicht, der so eng ist, dass der Kletterer ziemlich bis hinaus an die Steilwand gedrängt wird. Kurz unterhalb des Gipfels wird der Kamin bequemer, einige sichere Tritte führen dann schnell zur Höhe.

Ein berüchtigter Nachbar der kleinen Gans ist der Mönch, dessen Besteigung nicht so lange Zeit in Anspruch nimmt, jedoch durch eine kritische Stelle ein etwas unangenehmer Herr wird, denn man hat sich aus dem immer breiter werdenden Einstiegskamin auf eine schmale Felsrippe zu schwingen und auf steiler Platte bis zu einer in den Felsen gemeißelten Nische aufwärts zu kriechen, die von den seligen Raubrittern als Ausfug benutzt sein dürfte. Von hier führt eine schräge Platte zum Gipfel, auf dem eine Mönchsfigur aus Eisenblech haust und im Winde klägliche Töne von sich gibt. Diese Figur wurde bekanntlich von Mitgliedern des Gebirgsvereins Mitte der 1880er Jahre errichtet und besitzt als Wetterprophet für die bei Wehlen übersetzenden Touristen einen guten Ruf. Auch das schöne Geschlecht ist unter den Kletterfelsen vertreten. Auf der anderen Seite des Amselgrundes steigt aus Tannenwaldungen ein isolierter Kegel, der Jungfernstein (auch Talwächter genannt) empor. Seine abweisende Steilheit erinnert an eine etwas ältliche, verbissene Jungfrau, die es dem verwegenen Felskletterer nicht wird vergessen können, dass auch sie ihre Jungfräulichkeit schon lägst seiner Kühnheit opfern musste. Die Besteigung des gestrengen Fräuleins erfolgt in der Nähe des durch den ganzen Felsen durchgehenden sogenannten Jungfernlochs, zuerst durch einen leichten Kamin, worauf eine ziemlich senkrechte Wand zu ersteigen ist. Einige daselbst angebrachte Meißel ermöglichen den nicht unbedenklichen Aufstieg. Oben geht es auf Platten und Bändern schnell zum Gipfel. Es soll übrigens noch einen anderen Aufstieg nach der Elbseite zu geben.

Jenseits der Elbe erblickt man von den Bergen der Basteigruppe noch ein zweites Felsenfräulein, den Nonnenfelsen, einen nicht gerade hohen, aber in seiner Form auffallenden Felsturm, der auch bereits öfter bestiegen worden ist und trotz seiner geringen Höhe den Wagemut des Kletterers ziemlich auf die Probe stellt. Die Schönen der Gebirgswelt lassen sich eben nicht so schnell überrumpeln, wie dies bei manchem schönen Kinde unter uns armen Sterblichen der Fall sein soll.

Nach diesen immerhin bescheidenen Felsengestalten kommen wir jetzt zu dem König unsrer heimischen Kletterberge, in seinem kühlen, prächtigen Aufbau ein echter Dolomit, dem Falkenstein im Schrammsteingebiet. Ihm wird wie einem mächtigen Könige von allen Bergsteigern der Sächsischen Schweiz gehuldigt und man wird sich mit Fug und Recht erst zu den geübteren Kletterern zählen, nachdem man ihn bezwungen hat, wenn man auch noch so zerschunden nach der Ostrauer Scheibe zurücktrollt, das Seil über der Brust und die kurze Shagpfeife im Vollgefühl seiner Kraft schmauchend.

Von den beiden Wegen, die zum Gipfel des Falkensteins führen, ist der Turnerweg bereits in den 1860er Jahren von Schandauer Turnern benutzt worden, der andere, der sogenannte Schusterweg, nach seinem Pfadfinder benannt, ist seit etwa 30 Jahren bekannt und gilt als der beschwerlichere Aufstieg.

Der Einstieg zum Turnerweg ist durch mehrere in eine Wand gehauene Inschrift, von denen eine auf das Jahr 1631 zurückweist, gekennzeichnet. Eine große prächtige Buche lässt uns die Einstiegsstelle nicht verfehlen. Gewöhnlich befindet sich hier auch eine Leiter, auf der man in einen etwa 40 Meter hohen engen Kamin gelangt, in dem man sich mit der Keckheit eines Schornsteinfegers hinausbewegt. Auf einem Plateau kann man sich dann einige Minuten Kraft gönnen. Auf einen schmalen Reitgrat , der sich in unmittelbarer Nähe der Wand hinzieht, schwingt man sich in oder besser an einen dreiteiligen Kamin, der aus drei in der Wand befindlichen wenig tiefen Rissen besteht und an dem Hände und Füße mit Anwendung des Rückens soviel Halt finden, dass man schließlich in ein durch einen Felsblock gebildetes enges Loch zu kriechen vermag, von wo man auf eine grasbewachsene Platte gelangt, über die bequeme in den Felsen gehauene Stufen zu einer Traverse führen. Tritte und Griffe lassen uns die steile Wand schnell überwinden und sobald der berüchtigte Sprung über eine 11/2 Meter breite Spalte, an der ein Berliner Doktor abstürzte, mit kaltem Blut erfolgt ist, wird der Gipfel in kurzer Zeit erstiegen, auf dem die „Falkensteiner“ eine Wetterfahne in Gestalt eines mächtigen, die Flügel ausbreitenden Falken errichtet haben. Während der kupferne Geselle sich kreischend im Winde dreht, haben wir uns an eine Felswand ausgestreckt, lassen unsre Augen entzückt in die Ferne schweifen und laben uns am Inhalt des Rucksacks, den wir kunstgerecht am Seil nachgezogen haben. Schließlich wird noch ein wohlriechender Höhenknaster in die Luft geblasen und das Gipfelbuch muß wieder herhalten, unseren bescheidenen Bergsteigerruhm zu mehren.

Der Schusterweg beginnt mit einem leichten Kamin, der oben durch einen vorspringenden, großen Felsblock geteilt wird. Durch eine kühne Traverse nach links gelangt man in einen linksseitigen Kamin. Der kleine Salto mortale, der hierbei nicht zu umgehen ist, erfordert absolute Sicherheit und Schwindelfreiheit, da man erst während des Schwunges die jenseitigen Griffe und Tritte wahrnehmen und benutzen kann. Von einem mit Gras bewachsenen Plateau betritt man alsdann mit Benutzung einer in den Felsen gehauenen Stufe einen ziemlich überhängenden Kamin, dem bald ein zweiter, gleichartiger Kamin folgt. Beim Durchklettern derselben wird der Körper weit hinaus an die Wand gedrängt, und man muß mehr auf dem Bauche rutschen, als mit den Beinen klettern. Oben befindet sich eine sehr steile, vollkommen glatte Rinne, die früher durch ein Drahtseil versichert war. Ohne dieses Hilfsmittel ist sie nicht zu begehen. Da das Drahtseil aber auf den Wunsch des Herrn Oberförsters Hahn in Postelwitz von dem Kletterklub „Die Falkensteiner“, der es angebracht hatte, wieder beseitigt worden ist, wird die Rinne durch eine anstrengende Felskletterei umgangen.

Hierauf geht es in das Innere des zerklüfteten Bergmassivs, zunächst ein Stück abwärts durch ein Loch bis an den berüchtigten, schwierigen Reitgrat. Das Hinüberschwingen auf denselben erfordert wieder eine Sicherheit und das Hinaufbewegen auf dem steilen und langen Grat bedeutenden Kraftaufwand. Ist diese Stelle glücklich überwunden, dann hat man die Hauptarbeit getan. Der weitere Aufstieg bringt uns nach Bewältigung einer Traverse und eines zweiten, weniger unangenehmen Reitgrates schnell auf den Gipfel.

Weitere Kletterberge im Schrammsteingebiet sind am Schrammsteintor der Friedrich – August – Felsen oder Vordere Torstein und die Ostertürme, schlanke Felsnadeln, deren Besteigung außerordentliche Gewandtheit und Kühnheit erfordert.

Der in der Nähe des Winterberggebietes am weitesten nach Norden vorgeschobene, zerklüftete Flügel der Schrammsteingruppe, die Affensteine genannt, ist ein wahrer Tummelplatz für Kletterer. Hier reiht sich Turm an Turm und manche noch jungfräuliche Spitze wartet auf ihren Bezwinger. Dort liegen auch die Brosinnadel, der Bloßstock und die Rokokotürme, unheimliche Gesellen, die nicht mit sich spaßen lassen.

Im angrenzenden böhmischen Gebiet fehlt es ebenfalls nicht an Kletterbergen. Um jedoch über den Rahmen dieser Arbeit nicht hinauszugehen, muß ich es mir leider versagen, mich mit ihnen näher zu beschäftigen.

Die flüchtige Übersicht, die ich über unsere heimischen Kletterberge gegeben habe, ruft bei den Laien vielleicht ein leichtes Gruseln hervor. Er wird an die bekannte Geschichte denken, wo einer das Gruseln erlernen wollte. Gewiss, wer sich nicht kräftig genug und schwindelfrei fühlt, der soll aus den Reihen der Bergsteiger bleiben, wer aber Gottes freie Natur liebt und das echt männliche Gefühl, die Luft am Wägen und Wagen kennt, der setze sich getrost über Vorurteile hinweg, die nur der haben kann, der noch nicht die lockende, suggestive Gewalt des Bergsports verspürt hat. Viele seiner begeisterten Anhänger haben für ihn auch einmal geringschätzige, überhebende Worte gehabt. Ich habe das an mir selbst erfahren, bis ich eines schönes Tags hinter dem Ofen hervorkroch und dem Sirenengesang der Berge zum Opfer fiel. Geflucht habe ich zwar erst wie ein Holzknecht, als es jeden Sonntag in den Beinen zuckte und mich in die Berge zog, auch eine Bergkrankheit, die dazu leicht chronisch wird.

Die sich aber auch dadurch nicht bekehren lassen wollen, zu denen will ich zuletzt noch von einer „sozialen“ Seite des Klettersportes sprechen.

Wir leben mehr denn je in einer Zeit der Paarung. Man besuche nur einmal, um sich hiervon zu überzeugen, die bekannteren Punkte der Sächsischen Schweiz, und ein braver Mann wird erschrecken über die vielen Liebespärchen, die ihm in des Waldes tiefsten Gründen begegnen. Bergsteiger sind zwar in der Liebe auch keine Kostverächter, aber der Klettersport ist zu ernst und herb, um für Amors kurze Beine auszureichen. Er zeitigt eine andere, in unsrer Zeit oft recht seltene Blume: den engeren Zusammenschluss von Männern, der frei von Vereinsmeierei ist, und die Männerfreundschaft. Ja, die Männerfreundschaft, wie viele oder wie wenige besitzen heutzutage einen echten Freund! Der Klettersport, bei dem jeder auf den andern angewiesen ist, weckt die Gefühle der Freundschaft mit einer stillen Gewalt. Darin liegt auch der Zauber, der Bergsteiger unter sich so eng zusammenhält. Sollte er nicht schon deshalb der edelste Sport sein, der es nicht nur verdient gefördert, sondern auch allgemein als eine Quelle der Gesundung und Belebung für Körper und Geist anerkannt zu werden? – Ich schließe mit der schüchternen Frage, ob es trotz alledem noch Lateiner geben kann, die da meinen: Amabilis insania – schöner Wahnsinn!

 Aus „Ueber Berg und Tal“ 1901

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