Wenn man den Leuten vom Klettersport in der Sächsischen Schweiz erzählt, so glauben sie zumeist, dass man ihnen ein Märchen auftischen wolle. Kann man es doch genügsam erleben, dass die Ausrüstung des Bergsteigers auf unseren Bahnhöfen einem starken Kopfschütteln begegnet, denn wozu Bergschuhe, Kniehosen und Rucksack, wo man die liebe Sächsische Schweiz im Sonntagsstaat an einem Tage nach allen Himmelsgegenden durchqueren kann.
Ob
es ein Unglück ist, dass unsere Sächsische Schweiz für die Touristik noch höchst
oberflächlich beurteilt wird? Ich glaube ein Glück, wenn es unserem schönen
Gebirge auch nicht zu einem besonderen Ruhm gereicht, dass der Zug seiner
Besucher immer wieder nach den bekannten Bergen, der Bastei, dem Prebischtor,
dem Kuhstall usw. geht, wo man auf breiten bequemen Wegen wandelt und in
behaglichen Gasthäusern seinen Leib mit den erlesensten Genüssen der Kochkunst
pflegen kann.
Um
die Erschließung und Wegbarmachung der Sächsischen Schweiz ist es ja für
breite Kreise eine schöne Sache. Der Mensch ist heutzutage bequem geworden und
muß man Rechnung tragen. Aber es sage mir nur keiner, dass es ein besonderer
Genuß ist, an einer Stelle zu stehen, die durch Eisengeländer abgeschlossen
ist, wo einem drei oder vier Enthusiasten auf den Beinen herumtreten, und wo man
an den herrlichen Felsen überdies lesen kann, dass Rohn oder Schulze auch schon
einmal hier gestanden und die Aussicht bewundert haben.
Führ
viele Leute ist die Sächsische Schweiz überhaupt nur eine Jagd nach
Aussichtspunkten; mit einer wahren Wut rennen sie auf jede ihnen erreichbare Höhe,
um dann gewöhnlich nicht etwa in Entzücken über die Aussicht auszubrechen,
sondern um die zu ihren Füssen liegende Bergwelt an den Fingern herzuzählen.
Das bereitet ihnen ein unmenschliches Vergnügen. Es gibt eben auch hier eine
ergötzliche Philosterei, gut für Bergbanausen und Blasierte und die, die
glauben, die Sächsische Schweiz mit 2 Tagen abtun zu können. Aber für uns
Jungen an Körper und Seele, die Jahre sind dabei nebensächlich, das weiß ich
von manchen, der längst grau ist, wir Jungen, was sagen wir dazu? Ach, wie ich
sie mir jung liebe, ihrer sind doch noch herzlich wenig. Man kennt sie schon
alle an der Nase, wenn sie morgens zum sogenannten Touristenzug anmarschiert
kommen, ein kleines, tapferes Häuflein, gar nicht an Zahl zu vergleichen mit
dem Menschenstrom, der besonders an schönen Sonntagen die Sächsische Schweiz
durchflutet. Ich möchte sie die Einsamen nennen, und wahrlich, die Einsamen
sind die stillen, feinen, begeisterungsfähigen Kenner der Sächsischen Schweiz
und ihrer Natur, dieser Natur, die in den kühlen Schluchten und tiefen Gründen
ein heimliches Leben weht, wo des Morgens sich der Nebel zu zarten Schleiern
ballt und wo die köstliche Frische der taugetränkten Tannen uns tief und
freudig aufatmen lässt, dieser Natur mit den trotzigen Zacken, den verwitterten
Wänden, an denen das Moos leuchtet und die der wetter-harten Tanne ein
bescheidenes karges Felsennest bieten. Diese atmende, kraftstrotzende Natur will
nicht durchstürmt, sie will verstanden und genossen sein in ernster
weltfreudiger Naturandacht. Dann weiß man erst, was der Wald und das Gebirge
dem Menschen sind. Wie es sich köstlich am Bergeshang, auf der Waldwiese träumt,
wenn Rast gehalten wird und der eine auf dem Rücken liegt und durch die
Tannenwipfel zum Himmel lugt oder der andere dem ruhigen Fluge der Raubvögel
folgt, die mit hässlichem Geschrei um eine Felsnadel streifen.
Neben
dem Genießen, und in der Kunst des Genießens sollte jeder Freund der Berge
aufgehen, verlangt die Touristik allerdings noch eine andere Fähigkeit, die
unumgänglich ist, dass eine gesunde Seele auch in einem gesunden Körper wohne.
Damit soll nicht gesagt sein, dass sich nur der Gesunde für den Bergsport
eigne. Die freie Natur, die Waldluft ist eine wundersame Spenderin, sie stärkt
und kräftigt uns und wie mancher weiß es aus eigener Erfahrung, dass ihn ein längerer
Weg in der dunsterfüllten Großstadt ermüdet, während er im Gebirge 6, 8 und
mehr Stunden zu wandern vermag.
Daß
das Wandern verstanden sein will, weiß jeder Tourist. Ein Drauflosstürmen ist
kein Wandern. Wandere mit Bedacht und genieße, atme tief und selig, dabei
vergisst man die Alltagssorgen und lebt wie ein König in einer einzig schönen
und sonnigen Welt.
Die
Touristik besitzt noch etwas vom Nomadenleben, die Ungebundenheit, die
Sorglosigkeit und der freie Wille sind ihr schönstes Teil. Der echte Tourist
gleicht in mancher Hinsicht dem Zigeuner, den die Luft am Sichausleben durchströmt.
Ein
starker Reiz des Bergsports liegt jedenfalls in der Ausrüstung. Sie hat viel
Malerisches und genießt dabei den Vorzug, dass sie der Praxis ihre
Ausgestaltung verdankt. Wer in Knie-hosen und Nägelschuhen einmal über Berg
und Tal gewandert ist, der mag nicht wieder von ihnen lassen. Er ist ein anderer
Mensch.
Und
ein Tourist dieser Art soll sich auch etwas zutrauen dürfen. Er soll von seiner
Kraft opfern und sich nicht scheuen, Strapazen zu ertragen. Der starke Verbrauch
an Kraft, der nicht ein gewisses Maß überschreitet, ersetzt und verdoppelt
unsere Körperkraft bekanntlich in wunderbarer Weise. Das Verjüngen und das
Erhalten unsres Körpers ist das köstlichste Ziel der Touristik, neben der
Erfrischung und Belebung des Geistes. Das Wandern in unserem Gebirge wird indes
einen kräftigen Körper nur höchst selten völlig absorbieren können,
wenigstens nicht in dem Maße, dass unsere ganze Muskulatur davon Vorteil zieht.
Hier tritt der Klettersport in sein Recht, einer der vornehmsten Leibesübungen
der Jugend und der Kraft, die sich ausleben will
Das
Wandern wird den Körper immer nur einseitig beschäftigen und ausbilden, das
Klettern jedoch verschafft ihm ein höchst wohltuendes Spiel aller Muskeln und
Kräfte, es macht den Körper elastisch, schmiegsam, sehnig, kurz, durch die
mannigfachen Bewegungen, die der Kletternde ständig zur Überwindung
hunderterlei Schwierigkeiten macht, gewinnt der Körper eine einzige
Widerstandsfähigkeit, sowohl zur Erhaltung und Kräftigung seiner Gesundheit,
als auch im besten Sinne des Wortes gegen viele Fährlichkeiten des Lebens,
wobei die Ausbildung geistiger Fähigkeiten wie Umsicht, Kühnheit und
Entschlossenheit nicht zu unter-schätzen ist.
Die
Sächsische Schweiz gehört zu denjenigen Mittelgebirgen, die als sogenannte
Kletterschulen obenan stehen, und die die beste Vorbereitung für Bergfahrten im
Hochgebirge, besonders in den Dolomiten sind. Viele Steinzinnen und Nadeln
weisen den eigenartigen, wildzerklüfteten Typus des nackten Dolomitfels im
kleinen auf, und die an unseren heimischen Kletterbergen zu überwindenden
Schwierigkeiten werden sich vielfach mit denen des Hochgebirges messen können.
Man hört sogar nicht selten behaupten, dass die Sächsische Schweiz
Kletterpartien besitzt, wie sie exponierter im Hochgebirge kaum vorkommen
werden. Das ist eine ernste Mahnung für jeden Kletterfreund, die drei
Hauptbedingungen dieses Sports: Übung, Sicherheit und Findigkeit niemals zu
unterschätzen, d. h. vor allem beim Kleinen anzufangen und mit Großem aufzuhören,
und selbst dann sich Gefahren nicht mit einem gewissen Wagemut auszusetzen, der
mit den allgemeinen touristischen Gebräuchen nicht in Einklang zu bringen ist.
Das Schicksal des unglücklichen Dr. Brosin wird jedem gewissenhaften Touristen
vor Augen stehen, der zwar sonst ein ausgezeichneter Kletterer war, aber es
liebte, Besteigungen des Bloßstockes, der nach ihm benannten Brosinnadel usw.
allein und ohne Seilsicherung auszuführen. Derartig schwierige Touren, wie sie
das Schrammsteingebiet in größerer Anzahl aufweist sollen bekanntlich nur in
Gesellschaft unternommen werden.
Über
die Klettertechnik in der Sächsischen Schweiz kann ich mich ebenfalls kurz
fassen. Man tut als Neuling jedenfalls immer gut, sich bewährten Kletterern
anzuschließen, die die Führung übernehmen, denn ohne solche dürfte es für
den Anfänger wohl überhaupt ein schöner Traum bleiben, unsere bekannten
Kletterberge zu bezwingen. Ob man nun bereits geübt oder nicht geübt ist, so
wird man immer gut tun, die Tritte und Griffe, welche der Vorkletterer benutzt,
genau zu verfolgen und selbstverständlich zu benutzen, wo man aber dies aus
irgend welchen Grunde nicht tut, jeden Tritt und Griff auf seine Sicherheit zu
prüfen.
Am
sichersten aber wird immer der klettern, der getrost alle Viere benutzt und sich
auf drei Glieder stützt, bevor er weiter geht. Auch sind in den mannigfachten
Lagen die verehrten Vierbuchstaben ein ganz einziges Sicherungsmittel, worauf
schon der Schneider durch Verdoppelung des Hosenbodens hinweist. Kleidung und
Felsen besitzen stets eine gewisse Adhäsion, und wer den Stein liebevoll
umklammert hält, sowie auch sonst sich mit aller erdenklichen Zärtlichkeit ihm
anvertraut, dem wird er bald ein guter Freund werden. Vertrautheit mit dem
Felsen ist bei Kaminklettereien die beste Hilfe, denn wenn der Rücken an der
einen Wand liegt und die Knie oder Füße an der andern, so kann man sich leicht
und sicher nach Schornsteinfegerart herauf und hinunter bewegen. Im übrigen
macht nach einem bekannten Sprichwort auch hier Übung den Meister.
Ich
komme nun schließlich zu unseren Kletterbergen selbst. Ihre Mannigfaltigkeit
macht sie zu einem Übungsfelde besonderer Art, das, nebenbei erwähnt, fast
vollständig frei von einem bösartigen Feind der Hochtouren in den Alpen ist,
dem Steinschlag. Auch kommt beim Sandstein die Brüchigkeit des Dolomits nicht
in Frage. Man kann sich also besonders als Anfänger vollkommen mit seiner
Ausbildung befassen, ohne derartig unliebsame Überraschungen beführten zu müssen,
wie sie in den Alpen keine Seltenheit bilden.
Bevorzugt
wird zu Klettertouren gewöhnlich das Bastei- und Schrammsteingebiet. Als
leichteste Kraxelei gilt wohl allgemein der Rauschenstein in unmittelbarer Nähe
der Schrammsteine, dessen Besteigung im untersten Teil durch Spreizen
erleichtert wird, während im oberen Teil Stufen in den Felsen gehauen sind, so
daß man ihn ruhig als Damenberg bezeichnen kann. Damit soll jedoch für die
verehrten Damen durchaus kein Ausdruck der Geringschätzung verknüpft sein,
denn es sind verschiedentlich vom schönen Geschlecht wesentlich schwierigere
Berge der Sächsischen Schweiz bestiegen worden, ich weiß allerdings nicht wie,
da ich bis heute noch nicht Gelegenheit hatte, in Gesellschaft einer schönen
Frau mir die Reize des Kletterns zu verdoppeln.
Schon
etwas gewagtere Klettertouren bilden verschiedene, zum Teil höchst originelle
Felsgebilde im Honigsteingebiet, wie Lokomotive, Lamm und Storchennest,
letzteres mit dem sogenannten Tritt der Verzweiflung, den man allerdings am
besten überwindet, wenn man Beine von der Länge des Storches hat.
Der
Anstieg zur Lokomotive führt über einen sogenannten Reitgrat zu einem schmalen
Bande, von dem man sich in einen überhängenden Kamin schwingt, Nach Bewältigung
dieses kurzen Kamins traversiert man auf ein ziemlich schmales oberes Band, von
dem man über eine Wandstufe den Gipfel erreicht.
Zu
den beliebtesten Klettertouren für bereits Geübtere gehört die Besteigung der
Kleinen Gans im Basteigebiete. Von zwei Anstiegsrouten ist der sogenannte gewöhnliche
Weg der leichtere; er führt über Schrofen und Platten zu einem Sattel, von dem
aus ein 12 Meter hoher enger Kamin zu durchklettern ist, der zu einem
bewachsenen Felsvorsprung führt. Nach Überwindung eines kleines „Wandels“
gelangt man glücklich auf den Gipfel, wo man in aller Ruhe beim Anblick der schönen
Welt eine Pfeife rauchen und überdies seine Heldentaten einem Gipfelbuch für
die Nachwelt anvertrauen kann.
Der
zweite Weg führt durch den Gühnekamin, eine ungleich schwierige, zum Teil
exponierte und anstrengende Klettertour. Bereits der Einstieg erfolgt durch
einen Kamin fast ohne Griffe, von dem es an einer Felsrippe ein Stück
hinuntergeht, worauf man drüben über Schrofen zu einem breiten, noch glätteren
Kamin gelangt. Er führt zu einem kanzelähnlichen, schmalen Vorsprung, auf dem
nur zwei Personen Platz haben. Durch einen kühnen Schwung wird der letzte Kamin
erreicht, der so eng ist, dass der Kletterer ziemlich bis hinaus an die
Steilwand gedrängt wird. Kurz unterhalb des Gipfels wird der Kamin bequemer,
einige sichere Tritte führen dann schnell zur Höhe.
Ein
berüchtigter Nachbar der kleinen Gans ist der Mönch, dessen Besteigung nicht
so lange Zeit in Anspruch nimmt, jedoch durch eine kritische Stelle ein etwas
unangenehmer Herr wird, denn man hat sich aus dem immer breiter werdenden
Einstiegskamin auf eine schmale Felsrippe zu schwingen und auf steiler Platte
bis zu einer in den Felsen gemeißelten Nische aufwärts zu kriechen, die von
den seligen Raubrittern als Ausfug benutzt sein dürfte. Von hier führt eine
schräge Platte zum Gipfel, auf dem eine Mönchsfigur aus Eisenblech haust und
im Winde klägliche Töne von sich gibt. Diese Figur wurde bekanntlich von
Mitgliedern des Gebirgsvereins Mitte der 1880er Jahre errichtet und besitzt als
Wetterprophet für die bei Wehlen übersetzenden Touristen einen guten Ruf. Auch
das schöne Geschlecht ist unter den Kletterfelsen vertreten. Auf der anderen
Seite des Amselgrundes steigt aus Tannenwaldungen ein isolierter Kegel, der
Jungfernstein (auch Talwächter genannt) empor. Seine abweisende Steilheit
erinnert an eine etwas ältliche, verbissene Jungfrau, die es dem verwegenen
Felskletterer nicht wird vergessen können, dass auch sie ihre Jungfräulichkeit
schon lägst seiner Kühnheit opfern musste. Die Besteigung des gestrengen Fräuleins
erfolgt in der Nähe des durch den ganzen Felsen durchgehenden sogenannten
Jungfernlochs, zuerst durch einen leichten Kamin, worauf eine ziemlich
senkrechte Wand zu ersteigen ist. Einige daselbst angebrachte Meißel ermöglichen
den nicht unbedenklichen Aufstieg. Oben geht es auf Platten und Bändern schnell
zum Gipfel. Es soll übrigens noch einen anderen Aufstieg nach der Elbseite zu
geben.
Jenseits
der Elbe erblickt man von den Bergen der Basteigruppe noch ein zweites Felsenfräulein,
den Nonnenfelsen, einen nicht gerade hohen, aber in seiner Form auffallenden
Felsturm, der auch bereits öfter bestiegen worden ist und trotz seiner geringen
Höhe den Wagemut des Kletterers ziemlich auf die Probe stellt. Die Schönen der
Gebirgswelt lassen sich eben nicht so schnell überrumpeln, wie dies bei manchem
schönen Kinde unter uns armen Sterblichen der Fall sein soll.
Nach
diesen immerhin bescheidenen Felsengestalten kommen wir jetzt zu dem König
unsrer heimischen Kletterberge, in seinem kühlen, prächtigen Aufbau ein echter
Dolomit, dem Falkenstein im Schrammsteingebiet. Ihm wird wie einem mächtigen Könige
von allen Bergsteigern der Sächsischen Schweiz gehuldigt und man wird sich mit
Fug und Recht erst zu den geübteren Kletterern zählen, nachdem man ihn
bezwungen hat, wenn man auch noch so zerschunden nach der Ostrauer Scheibe zurücktrollt,
das Seil über der Brust und die kurze Shagpfeife im Vollgefühl seiner Kraft
schmauchend.
Von
den beiden Wegen, die zum Gipfel des Falkensteins führen, ist der Turnerweg
bereits in den 1860er Jahren von Schandauer Turnern benutzt worden, der andere,
der sogenannte Schusterweg, nach seinem Pfadfinder benannt, ist seit etwa 30
Jahren bekannt und gilt als der beschwerlichere Aufstieg.
Der
Einstieg zum Turnerweg ist durch mehrere in eine Wand gehauene Inschrift, von
denen eine auf das Jahr 1631 zurückweist, gekennzeichnet. Eine große prächtige
Buche lässt uns die Einstiegsstelle nicht verfehlen. Gewöhnlich befindet sich
hier auch eine Leiter, auf der man in einen etwa 40 Meter hohen engen Kamin
gelangt, in dem man sich mit der Keckheit eines Schornsteinfegers hinausbewegt.
Auf einem Plateau kann man sich dann einige Minuten Kraft gönnen. Auf einen
schmalen Reitgrat , der sich in unmittelbarer Nähe der Wand hinzieht, schwingt
man sich in oder besser an einen dreiteiligen Kamin, der aus drei in der Wand
befindlichen wenig tiefen Rissen besteht und an dem Hände und Füße mit
Anwendung des Rückens soviel Halt finden, dass man schließlich in ein durch
einen Felsblock gebildetes enges Loch zu kriechen vermag, von wo man auf eine
grasbewachsene Platte gelangt, über die bequeme in den Felsen gehauene Stufen
zu einer Traverse führen. Tritte und Griffe lassen uns die steile Wand schnell
überwinden und sobald der berüchtigte Sprung über eine 11/2 Meter breite
Spalte, an der ein Berliner Doktor abstürzte, mit kaltem Blut erfolgt ist, wird
der Gipfel in kurzer Zeit erstiegen, auf dem die „Falkensteiner“ eine
Wetterfahne in Gestalt eines mächtigen, die Flügel ausbreitenden Falken
errichtet haben. Während der kupferne Geselle sich kreischend im Winde dreht,
haben wir uns an eine Felswand ausgestreckt, lassen unsre Augen entzückt in die
Ferne schweifen und laben uns am Inhalt des Rucksacks, den wir kunstgerecht am
Seil nachgezogen haben. Schließlich wird noch ein wohlriechender Höhenknaster
in die Luft geblasen und das Gipfelbuch muß wieder herhalten, unseren
bescheidenen Bergsteigerruhm zu mehren.
Der
Schusterweg beginnt mit einem leichten Kamin, der oben durch einen
vorspringenden, großen Felsblock geteilt wird. Durch eine kühne Traverse nach
links gelangt man in einen linksseitigen Kamin. Der kleine Salto mortale, der
hierbei nicht zu umgehen ist, erfordert absolute Sicherheit und
Schwindelfreiheit, da man erst während des Schwunges die jenseitigen Griffe und
Tritte wahrnehmen und benutzen kann. Von einem mit Gras bewachsenen Plateau
betritt man alsdann mit Benutzung einer in den Felsen gehauenen Stufe einen
ziemlich überhängenden Kamin, dem bald ein zweiter, gleichartiger Kamin folgt.
Beim Durchklettern derselben wird der Körper weit hinaus an die Wand gedrängt,
und man muß mehr auf dem Bauche rutschen, als mit den Beinen klettern. Oben
befindet sich eine sehr steile, vollkommen glatte Rinne, die früher durch ein
Drahtseil versichert war. Ohne dieses Hilfsmittel ist sie nicht zu begehen. Da
das Drahtseil aber auf den Wunsch des Herrn Oberförsters Hahn in Postelwitz von
dem Kletterklub „Die Falkensteiner“, der es angebracht hatte, wieder
beseitigt worden ist, wird die Rinne durch eine anstrengende Felskletterei
umgangen.
Hierauf
geht es in das Innere des zerklüfteten Bergmassivs, zunächst ein Stück abwärts
durch ein Loch bis an den berüchtigten, schwierigen Reitgrat. Das Hinüberschwingen
auf denselben erfordert wieder eine Sicherheit und das Hinaufbewegen auf dem
steilen und langen Grat bedeutenden Kraftaufwand. Ist diese Stelle glücklich überwunden,
dann hat man die Hauptarbeit getan. Der weitere Aufstieg bringt uns nach Bewältigung
einer Traverse und eines zweiten, weniger unangenehmen Reitgrates schnell auf
den Gipfel.
Weitere
Kletterberge im Schrammsteingebiet sind am Schrammsteintor der Friedrich –
August – Felsen oder Vordere Torstein und die Ostertürme, schlanke
Felsnadeln, deren Besteigung außerordentliche Gewandtheit und Kühnheit
erfordert.
Der
in der Nähe des Winterberggebietes am weitesten nach Norden vorgeschobene,
zerklüftete Flügel der Schrammsteingruppe, die Affensteine genannt, ist ein
wahrer Tummelplatz für Kletterer. Hier reiht sich Turm an Turm und manche noch
jungfräuliche Spitze wartet auf ihren Bezwinger. Dort liegen auch die
Brosinnadel, der Bloßstock und die Rokokotürme, unheimliche Gesellen, die
nicht mit sich spaßen lassen.
Im
angrenzenden böhmischen Gebiet fehlt es ebenfalls nicht an Kletterbergen. Um
jedoch über den Rahmen dieser Arbeit nicht hinauszugehen, muß ich es mir
leider versagen, mich mit ihnen näher zu beschäftigen.
Die
flüchtige Übersicht, die ich über unsere heimischen Kletterberge gegeben
habe, ruft bei den Laien vielleicht ein leichtes Gruseln hervor. Er wird an die
bekannte Geschichte denken, wo einer das Gruseln erlernen wollte. Gewiss, wer
sich nicht kräftig genug und schwindelfrei fühlt, der soll aus den Reihen der
Bergsteiger bleiben, wer aber Gottes freie Natur liebt und das echt männliche
Gefühl, die Luft am Wägen und Wagen kennt, der setze sich getrost über
Vorurteile hinweg, die nur der haben kann, der noch nicht die lockende,
suggestive Gewalt des Bergsports verspürt hat. Viele seiner begeisterten Anhänger
haben für ihn auch einmal geringschätzige, überhebende Worte gehabt. Ich habe
das an mir selbst erfahren, bis ich eines schönes Tags hinter dem Ofen
hervorkroch und dem Sirenengesang der Berge zum Opfer fiel. Geflucht habe ich
zwar erst wie ein Holzknecht, als es jeden Sonntag in den Beinen zuckte und mich
in die Berge zog, auch eine Bergkrankheit, die dazu leicht chronisch wird.
Die
sich aber auch dadurch nicht bekehren lassen wollen, zu denen will ich zuletzt
noch von einer „sozialen“ Seite des Klettersportes sprechen.
Wir
leben mehr denn je in einer Zeit der Paarung. Man besuche nur einmal, um sich
hiervon zu überzeugen, die bekannteren Punkte der Sächsischen Schweiz, und ein
braver Mann wird erschrecken über die vielen Liebespärchen, die ihm in des
Waldes tiefsten Gründen begegnen. Bergsteiger sind zwar in der Liebe auch keine
Kostverächter, aber der Klettersport ist zu ernst und herb, um für Amors kurze
Beine auszureichen. Er zeitigt eine andere, in unsrer Zeit oft recht seltene
Blume: den engeren Zusammenschluss von Männern, der frei von Vereinsmeierei
ist, und die Männerfreundschaft. Ja, die Männerfreundschaft, wie viele oder
wie wenige besitzen heutzutage einen echten Freund! Der Klettersport, bei dem
jeder auf den andern angewiesen ist, weckt die Gefühle der Freundschaft mit
einer stillen Gewalt. Darin liegt auch der Zauber, der Bergsteiger unter sich so
eng zusammenhält. Sollte er nicht schon deshalb der edelste Sport sein, der es
nicht nur verdient gefördert, sondern auch allgemein als eine Quelle der
Gesundung und Belebung für Körper und Geist anerkannt zu werden? – Ich
schließe mit der schüchternen Frage, ob es trotz alledem noch Lateiner geben
kann, die da meinen: Amabilis insania – schöner Wahnsinn!
Aus
„Ueber Berg und Tal“ 1901