Die Höllenhundspitze

Von Rudolf Henke

Ächzend und stöhnend schob sich der Frühzug aus der Bahnhofshalle. In eilender Fahrt ging es fort, hinein in den taufrischen Morgen. Wogende Nebelmassen stiegen aus dem Tale auf, alles mit einem grauen undurchdringlichen Schleier bedeckend. Dann und wann tauchten vereinzelt stehende Häuser aus dem grauen Dunst auf, um gleich darauf wieder zu verschwinden. In unverminderter Schnelligkeit raste der Zug dahin. Zwei Stationen waren bereits zurückgelegt; die dritte tauchte auf: Rathen! Jäh setzten die Bremsen ein, der Zug hielt. Aus allen Abteilen stiegen Menschen mit lachenden Gesichtern, größtenteils einen Rucksack auf dem Rücken, welcher, dem Umfang nach zu schließen, nicht allzu leicht sein mochte. Der Fährmann hatte vollauf zu tun, um all diese Menschen nach dem jenseitigen Ufer zu befördern. Ruhig zog die Rattenfähre ihren Weg durch die Fluten; das Drahtseil ächzte und knarrte unwillig über die Last, die es zu halten hatte. Noch immer wogte der Nebel, immer dichter ballte er sich zusammen. Vergeblich suchte sich die Sonne einen Weg durch die graue Wand zu bahnen. Es war ein harter Kampf, aber zuletzt blieb die Sonne doch Sieger. Mit Macht drangen die Sonnenstrahlen durch, huschten hierhin und dorthin, an Baum und Strauch blieben sie haften und dann war alles von warmer goldener Morgensonne erfüllt.

 

Auf schmalen Pfade, welcher nach dem Raaber Kessel führt, schritten in angenehmer Unterhaltung wir fünf mit dem Zug Angekommenen dahin, zwei waren Damen. Am Eingang des Raaber Kessels bogen sie in denselben ein. Von goldener Morgensonne umhüllt grüßte die Höllenhundspitze zu ihnen herab. Da machten sie Halt und auf einem sonnigen Plätzchen ließen sie sich nieder. Die Rucksäcke wurden abgeschnallt und ausgepackt. Der Inhalt, welcher jetzt zum Vorschein kam, hätte wohl bei den Uneingeweihten ein Kopfschütteln erregt. Es waren alte, zerrissene Sachen, welche jede Hausfrau unbedenklich in den Lumpensack gesteckt haben würde. Und dann ein Seil. Sorgsam wurde es beiseite gelegt. Doch auch der innere Mensch wurde nicht vergessen und aus den schier unergründlichen Tiefen des Rucksackes das einfache Frühstück hervorgeholt und mit Behagen verzehrt. Aus den Blicken zu schließen, welche öfters nach der Höllenhundspitze hinaufglitten, schien sich die Unterhaltung um dieselbe zu drehen. Plötzlich wurden Schritte hörbar und bald gesellten sich zwei weitere rucksackbeschwerte Gestalten hinzu, welche von den Anwesenden herzlich begrüßt wurden. Sie legten ebenfalls ihre Rucksäcke ab und ließen sich neben den anderen nieder. Auch sie entnahmen ihrem Rucksack alte geflickte Sachen, die sie unverzüglich angezogen, welchem Beispiel auch die anderen folgten und nun glichen sie jenen fragwürdigen Gestalten, denen man, wenn man ihnen abends auf der Straße begegnet, scheu aus dem Wege geht. Die Seile wurden aufgehockt und bald waren alle im Dickicht verschwunden. Nur ein Vöglein flatterte von Stein zu Stein, die Brotsamen aufpickend. Es hatte gar keine Angst und schien zu wissen, daß ihm diese Menschen nichts zu leide taten; es schien auch zu wissen, was es für Menschen waren:

Kletterer!

 

Mit langen Blicken musterte W. die Westseite der Höllenhundspitze, an welcher der A.=R.=W.= Weg zur Höhe führt. Ein Riß, welcher sich mitten in der Westwand befand, bildete den Anstieg. W. seilte sich an. Mühelos arbeitete er sich einige Meter in dem Riß empor. Jetzt war er vor einer engen überhängenden Stelle des Risses angelangt. Umsonst suchte er nach einem Griff, nichts zu finden. Nach einigen Minuten anstrengender Arbeit gab er es auf und stieg zurück. Noch einmal wurde es versucht. Jetzt verklemmte er sich mit der linken Seite im Riß. Wieder war die enge Stelle erreicht. Fieberhaft arbeitete er. Da – ganz im Riß verborgen schien ein Griff zu sein, jetzt hatte er Halt gefunden. Nun ein kurzes Anziehen, ein Stemmen und jäh schwang sich der Körper aus dem Riß heraus, mit der rechten Hand höher greifend – es war geschafft. Aufatmend blieb er eine Weile stehen, dann ging es weiter, einige Meter empor bis zum Ende des Risses. Hier legte er eine Seilschlinge. Nun den Riß empor bis zum Sicherungsring. Jetzt konnte B. nachkommen und nach geraumer Zeit war auch er am Ring. W. stieg weiter. Ein etwa 6 Meter langer Quergang führte nach links bis ziemlich zur Kante. Von hier aus stieg er über ein Stück fast grifflose Wand zu dem Einstieg in einem weiterem Riß und in diesem empor zu einem Felsabsatz, welcher sich an der Vorderseite der Höllenhundspitze befand. Hier konnte er sich bequem hinsetzen. Das Schwerste war jetzt überwunden und der Zweite konnte nachkommen. Schnell hatte sich B., der noch am Ringe war, fertig gemacht und stieg an. Gut und sicher überwandt auch er den Quergang sowie den weiteren Weg und war in kurzer Zeit an der Seite W.

Mit Spannung hatte ich den beiden Steigern zugesehen und konnte nun auch anfangen. Angeseilt begann ich den Anstieg; wie W., so erging es auch mir: die enge, überhängende Stelle machte mir viel zu schaffen. Aber ich überwandt es doch, löste die Seilschlinge aus der Sanduhr und war bald am Ring. Hier ruhte ich mich ein Weilchen aus, denn es war anstrengend gewesen, aber doch eine schöne, herrliche Kletterei. Lange hielt ich mich nicht auf. Bald war der Quergang hinter mir und ich konnte schon meine Gefährten sehen, welche mir aufmunternd zunickten. Nach kurzer Anstrengung war ich bei ihnen und konnte ausruhen.

W. hatte sich inzwischen schon fertig gemacht. Der Weg führte wieder in die Westwand hinaus. W. war bald unseren Blicken entschwunden, nur das nachziehende Seil belehrte uns, dass er weiter stieg. Minuten verflossen – da tönte ein Gruß vom Gipfel. Er hatte es geschafft. Nun ging es rasch weiter und bald hatten auch wir zwei den Gipfel erreicht. Gemeinsam studierten wir das Gipfelbuch. Die 13. Begehung des .......... Weges konnten wir eintragen. Verwundert sahen wir uns an. Wie war das möglich? Im Jahre 1914 wurde der Weg durchgeführt und heute schrieben wir das Jahr 1922 und erst 13 Begehungen. War der Weg zu unbekannt oder fürchteten sich viele vor der Risskletterei? In beiden Fällen sollen meine Zeilen dazu beitragen, dem ..........Weg, welcher eine so schöne Kletterei aufweist, an die der Kletterer sein ganzes Können, seine ganze Geschicklichkeit setzen kann, einige Freunde mehr zuzuführen. –In beschaulicher Ruhe hielten wir Gipfelrast. Eine prächtige Fernsicht bot sich uns. Vor uns lag der Talwächter, auf welchem ebenfalls Kletterer Gipfelruhe hielten. Hinter ihm der Gamrig und weiter hinten in nebelhafter Ferne grüßten die Schrammsteine zu und herüber. Lange saßen wir da, in den schönen Anblick versunken, doch dann mahnte und der Magen zum Abstieg.

Freudig wurden wir von den Zurückgebliebenen begrüßt, der nagende Hunger gestillt. Dann nahm W. ein Seil, um mit Sportfreund H. dem Raaber Turm noch einen Besuch abzustatten. Stunden waren vergangen, alles rüstete zum Aufbruch. Noch einmal glitten die Blicke grüßend zur Höllenhundspitze. Als wir dann im traulichen Stübchen des Kaffee „Zum sonnigen Eck“ saßen tauschten wir noch einmal Erinnerungen über den verflossenen Tag aus und immer wieder schweiften unsere Gedanken zur Höllenhundspitze, zum........Weg, an welchem wir eine so schöne Kletterei erleben durften.

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