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Augen Blicke
Die Fragen, ob mich jemand am
Sonnabend vormittag auf eine schnelle Klettertour begleiten
möchte, kann ich mir sparen. Die Antworten sind stets die
gleichen: keine Zeit, was vor, noch Termine heute. So wird dies heute
denn mein jährlicher Alleingang zum Frosch.
Gegen 9 Uhr mache ich mich auf den Weg. Von den
angekündigten Gewittern fehlt auch jede Spur. Der Parkplatz in
Leupoldishain fast leer, das ist ungewöhnlich.
Am Frosch herrscht himmlische Ruhe, nur ein Kletterkurs
übt in der Scharte das Abseilen. Als ich die Ecke des
Vorblocks passiere, schaue ich auf eine unten feuchte und bemooste
Wand. Nun, es hätte schlimmer aussehen können.
Schnell ist der Gurt angelegt, das Seil aufgeschossen. Dann
geht es an den Einstieg der Sanduhrengalerie. Zwar schmieren die Griffe
etwas, ich stehe trotzdem fix auf dem ersten Band. Von hier ab geht es
wesentlich besser. Ich seile ab und betrachte den Einstieg des
Froschschenkels. Selbigen verkneife ich mir, das ist heute nicht
machbar. Als ich am Wandfuß eben einen tiefen Schluck aus
meiner Wasserflasche nehme, kommen zwei ältere Kletterer um
die Ecke, legen nach der Begrüßung Hand an den Fels
und befinden selbigen für feucht. Meinen Einwurf:
„Das täuscht!“, quittieren sie mit einem
Lächeln und verschwinden in Richtung Hauptgipfel.
Als nächstes spule ich die Solovariante ab.
Anschließend müssen sich erst der Klapperstorch,
dann der Laubfrosch und schließlich Opas Idee meiner
Kletterfreude beugen.
Gerade eben will ich mein Seil einziehen, um auf den
Hauptgipfel überzutreten, als der eine der beiden Kletterer
erneut am Wandfuß auftaucht.
Noch einen prüfenden Blick wirft er auf den Fels.
Anschließend fragt er mich, ob ich bitte sein Seil hochziehe,
damit er eine Selbstsicherung hat. „Dann kannst Du doch auch
gleich an meinem Seil nachsteigen.“, biete ich ihm an. Fast
schüchtern kommt die Entgegnung: „Na wenn Du das
machen würdest?!“ „Na klar.“
„Dann geh ich nur noch schnell mein Gurtzeug
anlegen.“ „Das kannst Du auch langsam machen, ich
habe Zeit.“
Lächelnd verschwindet er, um wenig später frisch
„gegurtet“ am Einstieg zu stehen. Er bindet sich
ein und los geht's. Ein klein wenig straffer nehme ich das Seil am
Einstieg. Ich möchte nicht, daß der Bergfreund aus
den Tritten rutscht. Nachdem er die paar Züge behende
gemeistert hat, steht er zunächst ein wenig ratlos auf der
Reibung. Meinen Ruf: „Na siehste, da hast Du es doch
gepackt.“, quittiert er mit der Bemerkung, daß er
noch lang nicht oben sei. Mit gut geführtem Seil ist Dieter -
so lautet sein Name - dann aber zügig bei mir und strahlt wie
ein Honigkuchenpferd.
Wir vereinbaren, daß ich ihn vom Hauptgipfel
sichern werde, damit er den Übertritt ohne Probleme hinbekommt.
Bald sind wir wieder vereint und reichen uns die
Hände zum Gipfelgruß. Diese strahlenden, dankbaren
und glücklichen Augen. Das sind im wahrsten Sinne Augenblicke,
die sich mir tief ins Gedächtnis einprägen.
Dieter erzählt mir, daß er nun 75 sei und
ihm das mit dem Vorsteigen immer schwerer falle. Häufig
käme dann eine Unsicherheit zum Vorschein, die ihn dann doch
lieber zum anderen Seilende greifen lasse.
Er setzt zu einer langen Dankesrede an, die ich ihm nach
wenigen Sätzen mit den Worten abschneide: „Wenn ich
einmal so alt sein werde wie Du, bin ich mit Sicherheit genau so froh,
wenn mir jemand ein Seilende zuwirft und mich sichert.“
Wir plaudern über Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft und
würden wohl kein Ende finden, würde nicht Dieters
Freund vom Wandfuß zum Aufbruch gemahnen. Die Beiden wollen
in der Hoffnung auf trockenen Fels ins Bielatal fahren und sich am
Zauberberg betun.
So seilt mein Begleiter ab, verstaut flink die Sachen im
Rucksack. Ein letztes herzliches Winken, dann sind sie verschwunden.
Was mir bleibt, ist die Erinnerung an eine interessante
Bergfahrt und einen dankbaren älteren Bergfreund. Diese Augen,
diese Blicke…
Karsten Kurz
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