Zum Teufel mit den Nazis
Kletterurlaub in der Schweiz,
der Sächsischen.
Eine ganze Woche lang.
Dabei der Sherpa, mein großer
Schlingenlegelehrmeister, und der Holzbein-Braun. Nein - der baut nur
Holzbeine.
Sherpa ist super drauf:
Teufel-Talseite könnte dieses Jahr werden.
Dieses Jahr ist 1967 und die
Teufel-Talseite ist einer der beiden im Kletterführer von 1966 ausgewiesenen
Aufstiege auf den Teufelsturm.
Quartier nehmen wir in
Felshöhlen, unter Felsüberhängen. Wir boofen.
Nach der „Knirpelwand“ lassen
wir uns unter dem Hohen Torstein von den mit ihren buschig, langen Schwänzen
ausdauernd gegen unsere metallenen Kochgeschirre schlagenden Siebenschläfern
den Schlaf rauben.
In der Teufelboofe sitzen wir
abends am qualmenden Feuer, wälzen uns , in Schlafsäcke gesteckt, auf
hartkargem Farnkrautlager hin und her, schauen nächtens zum Sternengefunkel
über uns und immer wieder und viel zu oft zum gegen den Himmel schwarz
gezeichneten Teufelsturm hinüber.
Boofen, dieser Freischlaf in
offener Natur, ist ja so was von herrlich.
Boofen, dieses über Tage und
Nächte wasserlose Höhlendasein ist ja so
was von …! Hygiene ist nicht.
Selbst beim nachmittäglichen Auffüllen unserer Trinkflaschen an der Ilmenquelle
in Schmilka wagt sich ob der damals noch viel zu hoch angesetzten Schamgrenze
keiner von uns dreien vor den an uns vorbeiurlaubenden Spaziergängern auch nur
kurz einmal die Hosen fallen zu lassen.
Also hängen wir tagsdrauf mit
Kribbeln um’s Herz und mit Kribbeln in der Hose an des Teufels steiler
Talseite.
Sherpa voran, wir hinten
dran:
Vom Absatz zur Kanzel,
verschneidungsähnlich hoch und links zum Ring. Nachholen. Wir holen an jedem
Ring nach. Zusammensein soll der Furcht das Fürchten lehren.
In den brüchigen Rippen über
dem ersten Ring findet der alte Schlingenfuchs noch Sicherungsmöglichkeiten.
Nach dem Einschnitt rechts rum und dann nach Nummer zwei und der Kante zu dritt
am dritten Ring.
Wir lugen die Wand hinauf.
Geht die Unterstützungsstelle zu überklettern? Könnte man da rechts darüber
eine Plattenschlinge unterbringen?
In diese Spannung hinein
Motorengeräusche, näher kommend, lauter werdend. Nein, welche unverschämten
Kerle trauen sich mit so einem Vehikel von Gefährt, Krach und Gestank
verbreitend, hier den Elbleitenweg hinauf und hinein in unsere heile Welt?
Denen gehört mal kräftig die
Luft aus den Reifen gelassen!
Dann quält sich die
Unverschämtheit aus dem Kübel. Es werden immer mehr. Alle in ein einheitliches
Braun hinein uniformiert.
Uns bleiben die Münder offen:
Braune Hemden, braune Binder, braune Stiefelhosen, braune Stiefel, braune Schaftmützen,
braune Koppel um die dicken Bäuche mit SA-Dolchen dran und links diese verhassten Kampfbinden am Arm.
Wir trauen unseren Augen
nicht, starren hinunter.
Die trauen ihren Augen nicht,
starren herauf.
Ratschlagen am dritten Ring.
Ratschlagen der braunen Rotte
drunten am Elbleitenweg. Lange.
Dann traut sich eine
Abordnung zu des Teufels Fuß heran, unseren Rucksäcken am Einstieg.
Zurück gekehrt kommt Bewegung
in den Braunhaufen.
Endlich knattert’s wieder,
Aufsitzen, eine letzte Abgaswolke. Vorbei der Spuk.
Für uns geht es weiter. In
der Wand über dem dritten Ring tatsächlich eine Plattenschlinge. Sherpa sitzt
drin, schüttelt die Arme aus, fasst bald in die Gardinen und dann an großen
Henkeln in’s rettende Hoch.
Das ist’s wohl.
Teufel-Talseite gepackt und dies mit dieser Einlage der besonderen Art.
Am Wandfuß steckt für uns von
den Braunen auf weißem Blatt eine schwarze Notiz. Darauf:
Wir werden gebeten, ersucht,
sie hätten eh schon Verzug, nun das noch, müssten das gute Wetter ausnutzen und
wir möchten doch bitte davon absehen, am nächsten Tag wieder hier an gleicher
Stelle klettern zu wollen, weil dann doch die Filmaufnahmen nicht termingerecht
fertig gestellt werden könnten, die Uraufführung gefährdet sei …
Was wundern wir uns.
Niemals käme auch nur im
Entferntesten einer von uns auf eine solche Idee, die Talseite am Teufelsturm,
einmal geschafft, am folgenden Tag nochmals zu begehen.
Das kann doch nicht sein,
dass ein so kurzzeitiges Tragen brauner Uniformen zum Zwecke des Herstellens
eines Films über die Arbeit widerständiger Bergsteiger zur Nazizeit bereits das
Denkvermögen derartig einschränkt.
Oder doch? Schließlich wurde
dafür der Nachweis ja bereits erbracht, zwölfjährig und deutsch.
Derohalben nun erst recht: Zum
Teufel mit den Nazis!
Klaus Zimmermann
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